Die Masken sind gefallen
Wir leben, so Byung-Chul Han in seinen vielbeachteten Thesen zur Transparenzgesellschaft, am »Anfang eines ganz neuartigen, aperspektivischen Panoptikums«, in dem sich »kein zentrales Auge, keine zentrale Subjektivität oder Souveränität« herausbildet. In dem die Politik ihren Handlungsspielraum zugunsten einer horizontalen Meinungsgesellschaft immer stärker einbüßt, weil sie bei jeder falschen Bewegung einen shitstorm befürchten muss. Es ist eine Zeit der Geheimnislosigkeit, in der sich immer mehr Menschen freiwillig zur Schau stellen und somit selbst ausbeuten, weil den »Dingen [nur] dann […] ein Wert zu[wächst], wenn sie gesehen werden«; in der Öffentlichkeit und Privatsphäre, Arbeit und Freizeit nicht mehr zu unterscheiden sind; in der sich alle ganz unverblümt und nackt zeigen und noch den letzten Rest ihrer scheinbaren Authentizität produktiv zu machen suchen. »Google und soziale Netzwerke, die sich als Räume der Freiheit präsentieren, nehmen panoptische Formen an. Heute vollzieht sich die Überwachung nicht, wie man gewöhnlich annimmt, als Angriff auf die Freiheit. Man liefert sich vielmehr freiwillig dem panoptischen Blick aus.«
Dass sich diese Thesen nicht unbedingt (nur) als rein kulturpessimistische Vision einer düsteren aber im Grunde noch fernen Zukunft abtun lassen, sondern es sich dabei um ganz reale und gegenwärtige Entwicklungen handelt, dürfte auch Dave Eggers spätestens klar geworden sein, als das Times Magazin seinen neuen Romans The Circle (Knopf & McSweeneys 2013) vorab auszugsweise veröffentlichte. Zumindest sollte es ihn hinsichtlich möglicher panoptischer Bestrebungen sozialer Netzwerks-Unternehmen nicht überrascht haben, als ihm von Kate Losse prompt vorgehalten wurde, er habe das, was sie in ihrem Buch The Boy Kings über ihre Erfahrungen als Facebooks «employee #51» beschreibt, nur in fiktionale Prosa übertragen. Allerdings gaben später sowohl Eggers als auch Losse an, das Buch der jeweils anderen Person nicht gelesen zu haben. Eggers behauptete sogar, überhaupt nichts über Internet-Companys gelesen, geschweige denn irgendeine besucht zu haben, um den Eindruck zu vermeiden, dass The Circle auf einem existierenden Unternehmen basiere. Obwohl sich diese Vorwürfe also als haltlos erwiesen, ist die Welt, die Eggers Roman zunächst präsentiert, der von uns wahrnehmbaren tatsächlich höchstens um wenige Schritte voraus:
Für Maebelline «Mae» Holland erfüllt sich ein Traum, als sie durch ihre Collegefreundin Annie einen der begehrten Jobs im einflussreichsten Unternehmen der Welt «The Circle» vermittelt bekommt, das Facebook, Google, Twitter u.a. längst subsumiert hat. Es ist ein Internetdienstleistungsunternehmen, mit dem die sogenannten «Three Wise Men», Ty Gospodinov, Eamon Bailey und Tom Stenton, seit der Einführung eines Unified Operating Systems – genannt «TruYou» – monopolartig über das Internet herrschen. Dieses kombiniert »unbendable and unmaskable« »all of every users’ needs and tools«. Nur mehr ein Account, eine Identität, ein Passwort, ein Zahlungssystem pro Person, für den Rest des Onlinelebens. Dadurch wurde einerseits das Kaufverhalten besser messbar, andererseits aber auch all das eingedämmt, was sich zuvor unter falscher Identität oder anonym im Netz herumtrollte. Gleichzeitig erklärte es sich der Technologiekonzern zur Aufgabe, das Wissen der Welt zu sammeln und für alle zugänglich zu machen. »ALL THAT HAPPENS MUST BE KNOWN« lautet die offizielle Mission, die mittels in die Knochen Neugeborener implantierter Chips, unzähliger hochauflösender Kameras überall auf der Welt und Armbänder, die jedwede Körperfunktion1messen, in greifbare Nähe rückt. Das goldene Zeitalter der Transparenz steht kurz bevor. Dafür aber darf kein Gedanke, keine Information mehr verloren gehen. Keine Handlung darf mehr alleine vollzogen werden, und »when anyone even considers the deleting of any information [...] [i]t’s like killing babies«. Indem sich nach und nach schließlich auch PolitikerInnen dieser Mission unterordnen und all ihre Unterredungen ungefiltert mit Kameras aufzeichnen, gelingt es «The Circle» scheinbar selbst die Demokratie zu revolutionieren.2
All das nimmt Mae blauäugig und ohne jeglichen Zweifel hin. Selbst als etliche »ethical violations« auf dem Computer einer Senatorin gefunden werden, die der Monopolstellung des «Circles» juristisch Einhalt gebieten wollte, ist dies für die Romanprotagonistin kein Anlass, sich darüber zu wundern oder sich gar wegen des Freiheitsverlust in einer zunehmend kontrollierten und überwachten Welt zu sorgen. Überhaupt lässt Eggers in seiner Figur kaum je irgendwelche Befürchtungen in Bezug auf den Konzern aufkommen. Bis auf eine schwarze Träne, die ab und an in schwülstigem Tonfall erwähnt, jedes Mal aber, noch bevor sie hervorbricht, wieder hinuntergeschluckt wird, bleibt Mae völlig in ihrer Naivität gefangen. Auch die lange Zeit unklar bleibende Figur Kalden, die scheinbar problemlos jegliche Kamera umgehen kann, ohne gesehen zu werden, schafft es trotz mehrmaliger Versuche nicht, Mae von der totalitären Gefahr des «Circles» zu überzeugen. Stattdessen kämpft sie sich weiter durch dutzende Kundenmails, arbeitet nächtelang an ihrem «Participation Rank», unterzeichnet Online-Petitionen und verliert zusehends den Kontakt zu ihren Eltern, die nach anfänglicher Begeisterung immer stärkeren Widerwillen gegenüber den Machenschaften des «Circles» zeigen. Nachdem Mae dann auch noch wegen eines undokumentierten Kanu-Ausflugs gerügt wird, verkauft sie ihre Seele schließlich vollends an den «The Circle»: Sie geht, wie es im Buch heißt, transparent und lässt somit die letzte Maske fallen3
Von da an kann eine millionenstarke Zuschauerschaft fast vierundzwanzig Stunden durch eine Kamera auf ihrer Brust an ihrem Alltag teilhaben. Des Weiteren hilft sie die drei Gebote des «Circles» zu verfassen (»SECRETS ARE LIES – SHARING IS CARING – PRIVACY IS THEFT«) und fordert schließlich von der Regierung, einen Circle-Account zur Pflicht für alle zu erheben, um dadurch eine größere Wahlbeteiligung zu erreichen. Der Weg in die totale Überwachung ist damit endgültig geebnet, und auf den letzten Seiten des Buches entledigt sich Mae schließlich auch noch der letzten kritischen Stimmen, auf dass es heißt: The Circle will be completed.
Bei all der Nähe zu realen Tendenzen innerhalb unserer Gesellschaft hätte Dave Eggers Buch The Circle ein interessanter, vielleicht sogar ein erhellender Roman darüber werden können, wohin der allgegenwärtige Transparenzzwang führen könnte. Da Eggers aber die damit verbundenen Techniken nicht ernst zu nehmen scheint, sondern eher die Richtigkeit seines kulturpessimistischen Standpunkts unmissverständlich beweisen möchte, reiht er innerhalb des Buches eine technische Unwahrscheinlichkeit an die nächste. Zum Beispiel würde es das Unified Operating System «TruYou», in dem sich alle Informationen an einem einzigen Punkt befinden, auf fatale Weise erleichtern, Identitätsdiebstahl zu begehen. Lächerlich auch scheint die im Buch vertretene Annahme, mittels Klarnamen ließen sich all die Problem beseitigen, die durch Trolls verursacht werden4. Ähnlich fragwürdig verfährt Eggers aber auch mit seinen Figuren: Mae und all die anderen Figuren handeln oftmals dermaßen inkonsequent, einzig und allein, um die Gefahren einer solchen Entwicklung auch wirklich jedem/r verständlich zu machen. Und falls es kurz vor Schluss immer noch nicht verständlich wäre, lässt Eggers zur Sicherheit noch jemanden eine Analogie zwischen einem Hai und dem «Circle» ziehen, nur um in der nächsten Szene Mae und Millionen ihrer ZuseherInnen dabei zuschauen zu lassen, wie ein Hai alle anderen Lebewesen im Becken verschlingt.
Vielleicht hätte es The Circle gut getan, wenn sich Dave Eggers doch mehr mit real existierenden Internetdienstleistungsunternehmen beschäftigt hätte. Vielleicht würden sich dann zumindest seine Figuren ein wenig aus dem Reißbrett erheben. So aber bleibt nach der Lektüre das Gefühl zurück, man habe es mit dem Buch eines Autors zu tun, der sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich wieder einmal »eine Postkarte und einen Bleistift zur Hand5« zu nehmen, anstatt sich mit Emails herumschlagen zu müssen.
- 1. Was mittlerweile bereits Wirklichkeit und von der EU-Kommissarin für die Digitale Agenda Neelie Kroes etwa beworben wird: http://www.youtube.com/watch?v=bqPhKskSVrI#t=96
- 2. Bei Byung-Chul Han würde dies jedoch unweigerlich zur Politik als Theater führen und die Politik mehr oder weniger zum Erliegen bringen, vgl. Byung-Chul Han: Transparenzgesellschaft. Berlin: Matthes & Seitz 2012. u.a. S. 15: »Allein die Politik der Theatrokratie kommt ohne Geheimnisse aus. Hier weicht das politische Handeln bloßer Inszenierung.«
- 3. »Die Transparenzgesellschaft als Gesellschaft der Offenbarung und Entblößung arbeitet gegen jede Form der Maske, gegen den Schein.« Ebd. S.59.
- 4. Vgl. hierzu etwa Kathrin Passig: Standardsituationen der Technologiekritik. Merkur Kolumnen. Berlin: Suhrkamp 2013. (edition unseld 48
- 5. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/enzensbergers-regeln-fuer...
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