Ballade vom Novemberregen
Es kommt selten vor, aber es kommt vor: Dass ein Fluss, den eben noch niemand wahrgenommen hat, über die Ufer tritt, als wollte er sagen: Hier bin ich! Oder dass ein Dichter, den kaum jemand auf dem Schirm hatte, plötzlich auf der Bildfläche der Literaturlandschaft erscheint, indem er den Leonce-und-Lena-Preis gewinnt. So wie David Krause im Jahr 2015. Auf einmal taucht eine Stimme auf, die so kraftvoll ist, dass man sie unmöglich ignorieren kann in all ihrer Sanftheit:
Und irgendwann ist der Wind
nur noch die Umschreibung
des Flusses.
Und irgendwann ist der Fluss
nur noch die Umschreibung
deiner Sprache...
„Die Umschreibung des Flusses“ heißt Krauses Debütband, der unlängst im Leipziger Poetenladen-Verlag erschienen ist. Und das Buch ist so ähnlich wie die Auszeichnung in Darmstadt, mit der niemand wirklich gerechnet hatte. Es war eine Überraschung, so wie es immer gut ist, wenn jemand das Erwartbare durchbricht und die Umstehenden sich erstmal ratlos die Hinterköpfe kratzen. Der sonst oft so vorhersehbaren Literaturpreisszene kann das nur gut tun. David Krauses Schreiben ist wie der Fluss, das Wasser, das Fließende, das sich leitmotivisch durch seine Gedichte zieht: Etwas, das sich seinen Weg bahnt, sein Ziel findet und dabei doch immer auf der Suche ist.
Das Zentrum, das Herzstück der Sammlung ist ein langes Gedicht namens „Novemberlied“. Eine Ballade, die mit der refrainartigen Wiederholung des „Novemberregens“ und einem
Klavier, das nun verhüllt
in einer dunklen Wohnung steht
natürlich zwangsläufig an einen Song von Axl Rose erinnert, auch wenn das sicher nicht die Absicht des Autors war. Aber: das ist nicht schlimm, im Gegenteil. Der Song und dieses Gedicht – beide sind große Poesie, beide tragen sie denselben Schmerz in sich. Es ist ein Gedicht, das vom Tonfall her an Erich Kästners „Sachliche Romanze“ denken lässt, nur dass die Sachlichkeit nach wenigen Versen aufgebrochen wird und sich einer melancholischen Sinnlichkeit des Verlusts ergibt:
Wo es endete,
begann die Sprache, reisten wir.
Leere Orte mochtest du am liebsten:
Sturmländer voll von Resonanz.
(…)
November. Immer wieder: November
in der Stille dieser Wohnung.
Hier sprachen wir und sprachen und
Stunde um Stunde wurde es
dunkler um uns, sprachen wir uns
tiefer hinein in eine Nacht,
die wir nur schweigend verlassen könnten...
Apropos Sinnlichkeit: In der Laudatio zum Leonce-und-Lena-Preis hieß es, Krause gehe
ein hohes ästhetisches Risiko ein: Er wagt noch einmal wie am ersten Tag unmittelbar sinnlich von den Dingen zu sprechen.
Das ist eine Feststellung, die erschaudern lassen muss. Wenn Sinnlichkeit heute „ein hohes ästhetisches Risiko“ ist, ein Wagnis gar, wie schlecht muss es dann um die Gegenwartslyrik stehen? Sollte das tatsächlich so sein, dann kann man nur wünschen, dass bald wieder viele Dichter dieses Risiko eingehen. Denn was ist Dichtung schon, wenn sie sich nicht mehr traut, sinnlich zu sein? Wozu brauchen wir sie dann noch?
Wie sehr wir sie brauchen, wie unumgänglich und elementar sie sein kann, das zeigen uns David Krauses Gedichte, die erst eine Klarheit zeichnen von hell und dunkel, von der Energie des Sommers und der einsetzenden Glückstrauer im Herbstlicht, wenn er diese Bilder aufbricht, die Natur mit dem Empfinden verwebt, oft so atmosphärisch dicht, dass zwischen die Verse kein fallendes Weidenblatt mehr passt.
Du warst still wie deine Haut,
die sich wieder um dich schloss
heißt es in einem Garten, und dann wird es wieder dunkel, es regnet,
Die Ärzte hatten einen Fluss angelegt, einen Schlauch in deinen Körper,
und stellten die Maschinen ein.
Kindheit und Tod liegen nah beieinander, und jeder Kuss trägt schon die Einsamkeit in sich, die zwangsläufig auf ihn folgen wird.
Noch etwas anderes stand übrigens in der Darmstädter Jurybegründung: ein
verheißungsvoller Auftakt eines literarischen Werkes.
Ja, das ist es. Und es ist mehr: Es ist ein Buch, dem man das Debüt nicht ansieht. Es ist ein Buch, das so eindrucksvoll, so rund und stimmig und in sich schlüssig ist, wie es vielen Dichtern auch nach Jahrzehnten des Schreibens nicht gelingt.
Fixpoetry 2016
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