Kritik

Sound der flachen Hierarchien

Hamburg

Techno und die dazugehörige Subkultur hatten es immer schon schwer. Der plumpe Vorwurf: Plastic music for plastic people, nichts Handgemachtes, hirn- und substanzlos. Geweitete Pupillen haben die auch noch – und natürlich keinen Sinn für die Realität. Eher einen komischen Geschmack, was Klamotten anbelangt. Etwas differenzierter argumentierte der intellektuelle Pop-Klüngel: Keine nennenswerte – schon gar nicht: politische – Message, nur ein reines Medium. Kein Anspruch, keine greifbaren Figuren, kein Geschichtsbewusstsein. Eine hedonistische, disparate Bewegung, die diese Bezeichnung gar nicht verdient hat, schließlich war doch die Sucht nach dem wochenendlichen Kick das einzige verbindende Element.

Blue abstract Techno Background: Zusammensetzung der Punkte und gekrümmte Linien - ideal für Hintergründe oder Schichtung über andere Bilder. Quelle: 123rf.com

Obwohl sich Techno mittlerweile in der Leit- und Hochkultur eingenistet hat, an den Universitäten und in den Charts seinen Platz gefunden hat, halten sich bestimmte Vorbehalte bis heute hartnäckig. Sie werden von verklärten Kinoschlagern wie »Berlin Calling« oder aufgeputschter Gossenromantik à la Airen (beziehungsweise Helene Hegemann) eher bestätigt als entkräftet. Der Blick in die sachorientierten Bereiche des Blätterwalds ist schon sinnvoller, fällt zuerst jedoch erschlagend aus. Die Zeitschriften, die sich mit elektronischer Musik auseinandersetzen – Groove, De:Bug, Raveline, und so weiter – liefern gebündeltes Fachwissen, sind aber zu tagesaktuell und detailliert, um eine Gesamtübersicht, ein Einführung in das Selbstverständnis einer Szene zu ermöglichen. Und wenn Tobias Rapp in seiner Monografie »Lost and Sound« den Status Quo der Berliner Szene skizzieren will, liest sich das wie eine ungeschickt formulierte Rundumanfrage für Gästelistenplätze bei den Clubs, die darin über den Klee gelobt werden.

Insofern handelt es sich bei dem von Felix Denk und Sven von Thülen herausgegebene Band »Der Klang der Familie« ein ambitioniertes Projekt. Die Anfänge einer Subkultur über ihre ProtagonistInnen zu rekonstruieren, das Selbstverständnis dieser Bewegung zu abstrahieren und gleichzeitig den Beginn ihres unvermeidlichen Zerfalls zu portraitieren, kann schließlich schnell in einem kolossalen Mammutprojekt ausufern, aussageschwach und überfrachtet. Dass es aber auch gelingen kann, hatte schon »Verschwende deine Jugend« (http://fixpoetry.com/feuilleton/rezensionen/1639.html)  bewiesen. An eben jenem Buch haben sich Denk und von Thülen orientiert und danken seinem Herausgeber Jürgen Teipel für Inspiration und Rat gedankt.

Das ist nicht allein deswegen sinnvoll, weil das Format einer oral history sich schon bei Teipel als goldrichtig erwiesen hat. Sondern auch, weil die elektronische Musik in eben dem Moment das Spielfeld betrat, als es mit der Neuen Deutschen Welle zu Ende ging, der musikalische Fortschrittswille, der die späten 1970er und frühen 1980er Jahre prägte, erschlafft war und die radikalen Ideen durch seichte Kost abgelöst wurden. Mit Acid, House und etwas später Techno entwickelte sich eine neue Form von Musik, die auf andere Art revolutionär war als die der Punk-Bewegung einige Jahre zuvor. Es entstand ein »Sound der flachen Hierarchien«, wie Denk und von Thülen es im Vorwort ausdrücken: Billige Synthesizer ermöglichten SchlafzimmerproduzentInnen, ihre Beats von zuhause aus zu basteln, unabhängig von einer Industrie zu agieren. Das deckte sich bestens mit der Mentalität derjenigen, die auf die neuen Klänge abfeierten.

»Wir lassen uns nichts sagen, wir machen jetzt einfach, wir wollen Party, wir sind frei. Wie der DJ heißt, hat keinen interessiert. Eher: Wie lange geht es?«, beschreibt Frank Blümel, der selbst als DJ involviert war, das Selbstverständnis des Publikums. »Das hatte so was geil Basisdemokratisches«, schwärmt auch Arne Grahm, Raver der ersten Stunde. Stars sind nicht mehr die Menschen hinter der Musik oder gar, wie es in britischen Feierinstitutionen wie der Haçienda der Fall war, die DJs, sondern vielmehr die Parties, die Clubs, das Publikum. Die lose Ideologie der ersten Techno-Tage war die einer sozialen Utopie, in der Menschen jedweden Hintergrunds, jeglichen Geschlechts, egal welcher Sexualität oder Herkunft einen gemeinsamen Nenner finden konnten, ein verbindendes, zusammenschweißendes Moment: Der Rave, die Musik, das friedliche, ekstatische Miteinander.

Dass Denk und von Thülen ausschließlich die ProtagonistInnen der hauptstädtischen Szene zu Wort kommen lassen und deutschen Techno somit mal wieder als Berliner Phänomen in den Raum stellen, ist da natürlich mehr als unglücklich. Die musikalischen Einflüsse aus Großbritannien werden kaum, die aus Detroit  (von wo Labels wie Underground Resistance und Künstler wie Kevin Saunderson und Juan Atkins Techno ein Gesicht und einen Namen gaben) schon eher thematisiert. Frankfurt am Mains lebendige – und, wie man sagen muss, im Vergleich traditionsreichere Szene – findet ebenfalls mal Erwähnung, ansonsten erscheint das Deutschland der Umbruchzeit als subkulturell unkartografiertes Gefilde. Ein irreführender Eindruck, der schwerlich zu verhindern gewesen wäre ohne den bereits über 400 Seiten nicht noch das Doppelte hinzuzufügen oder aber einen entscheidenden außermusikalischen Schwerpunkt zu vernachlässigen. Denn wie es der Untertitel »Berlin, Techno und die Wende« schon andeutet, erzählt »Der Klang der Familie« im gleichen Zug ein Stück deutsch-deutscher (Pop-)Geschichte.  

Der Unity-Gedanke der selbstverwalteten Szene traf auf eine Aufbruchsstimmung, die nicht allein musikalischer Natur war.  »Als ich da reinkam, dachte ich, ich wäre im Raumschiff Orion. Gleich heben wir ab und gründen einen neuen Staat«, erinnert sich Marco Bölke an seinen ersten Besuch im E-Werk. Die Loveparade gründete sich 1989 aus ähnlichen Gedanken heraus, als von einem positiven Geist durchzogene Demonstration des friedlichen Miteinanders – gegen jede Form von Ab- und Ausgrenzung. Die ehemalige E-Werk-Angestellte Annie Lloyd misst dem sogenannten Summer of Love sogar historische Bedeutung bei: »Ich hatte noch nie etwas in der Art erlebt. Das Gefühl war schon vorher da. Aber 1991 hatten wir erst dieses Selbstbewusstsein, wir sind was. (…) Auch die Vereinigung von Ost und West, die hat im Underground stattgefunden. In den Clubs.«

Ein aufregender, futuristischer Sound, hehre Motive, ein freches Auftreten und ein ästhetisches Feingefühl für das, was sich aus dem Berlin der Nachwendezeit herausholen ließ, sorgten dafür, dass Techno in kürzester Zeit an immer mehr Beliebtheit gewann. Die Ernüchterung kam, als die internen Grabenkämpfe  anfingen, sich einzelne musikalische Strömungen voneinander abzugrenzen versuchten, immer mehr Geld ins Spiel kam. Die fluffige Partydroge Ecstasy wich dem Ego-Booster Kokain, aus grenzenloser Liebe wurde ein Geschäft, die Message ging verloren. »Wir haben zu wenig darauf geachtet, die wenigen Inhalte, die wir hatten, auch rüberzubringen«, resümiert Daniel Bier alias DJ Disko. Und bringt auf den Punkt, was Techno letztlich das Genick brach: »Jede Subkultur, die eine Kultur wird, hat ausgeschissen.« Irgendwann ist Techno im Mainstream angekommen, die Subkultur zersplittert. Mit Marushas Neu-Interpretation von »Somewhere Over The Rainbow« im Jahr 1997 schließt die polyphone Erzählung auch. Die credibility war aufgebraucht, der Idealismus gebrochen, die Hoffnungen der späten 1980er Jahre nicht mehr einzulösen.

Anno 2013 ist nur noch wenig vom Esprit über, der in »Der Klang der Familie« herauf beschworen wird. Parties zu machen ist ein Geschäft wie jedes andere, Streitereien mit der GEMA scheinen dem Party-Publikum den einzigen Impuls zu liefern, sich auf die Straße zu begeben. »Der Klang der Familie« wird an den festgefahrenen Strukturen sicherlich nichts ändern können. Es wirft aber ein anderes Licht auf die Anfänge der Szene in den 1980er Jahren bis zum Moment, in dem die Leitkultur infiziert wurde, zeichnet ein genaues Bild vom Selbstverständnis ihrer AkteurInnen und leistet damit einen pophistorisch wichtigen Beitrag.

Ähnlich wie »Verschwende deine Jugend« zeugen die Berichte der Techno-VeteranInnen von schier grenzenloser Naivität, finanzieller Unvernunft und einem frivolen Hedonismus. Aber auch von Hoffnung, Aufbruchsstimmung und Mut – den Eckpfeilern einer jeder Jugendbewegung. Das macht »Der Klang der Familie« zu einem wichtigen Dokument, einem Schlüssel zum Verständnis dieser Subkultur, für die eine differenzierte Einführung geschaffen wurde.

Felix Denk (Hg.) · Sven von Thülen (Hg.)
Der Klang der Familie
Berlin, Techno und die Wende
Suhrkamp
2012 · 432 Seiten · 14,99 Euro
ISBN:
978-3-518463208

Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge