Ein verlorener Dichter
„An diesem achten Mai ist am Himmel ein großes Blauen, und im Gras unten ein helles Grünen“
Peter Handke im Nachwort
„Präludium zur neuen Kälte der Welt“ – Kleine Brötchen haben sie bei Jung und Jung nicht gebacken, wo 2012 in einer schön gebundenen Ausgabe Dimitri T. Analis letzte Gedichte erschienen sind. „Diese gewaltigen Verse tönen bisweilen wie das Echo von Klängen weit zurückliegender Zeiten (…), gesprochen wie mit der sonoren Stimme eines antiken Propheten. Diese Gedichte, großartig und streng wie Psalmen, haben etwas Unausweichliches.“
Klappern gehört zum verlegerischen Handwerk und zum Klappertext besonders, aber die Wahl der Rassel fiel hier sehr deutlich auf den Großkaliber. Vielleicht schlugen sie so auf die Sahne, weil das Büchlein 20 Euro kostet, bei 12 Stück macht das 1,70 je Gedicht, da schluckt man ja schon, vermutlich ist ein satter Handke-Aufschlag enthalten – er hat übersetzt, oh nein, die Verlagssprache nennt es würdiger: übertragen und ein kleines, ebenfalls elegisch überhöhendes Nachwort für seinen verstorbenen Freund beigesteuert.
Beim Durchblättern dominieren die Illustrationen von Walter Pichler fast stärker als die knappen Texte, es sind extrem schlichte, reduzierte Bleistift-Skizzen, ein Kreuz, eine Kugel auf einer Fläche, eine Stück Mauer, ein Treppe nach unten und die Botschaft des ‚Präludium‘ im Titel via Understatement verstärkt sich – hier soll es mit Gewalt um Quintessenzen gehen, um Weisheit, um Offenbarung letzter Einsichten über die, öhm, tja, so steht es nun mal im Titel, über die Welt.
Das weckt Widerstand, ich gestehe es, zu dem unguten Ressentiment-Verdacht, den der Titel auslöst, a la ‚Früher war alles Wärmer‘, kommt eine gewisse Skepsis und der Verdacht, dass der Kaiser keine Kleider anhat, wenn gar so viel ‚Jetzt erklärt euch Lyrik die Welt‘ Werbe -Maschinerie aufgeboten wird.
„Walter Pichler hat jedem Gedicht eine elementare Zeichnung beigegeben.“
Ob es Analis denn gelang, die selbst im Eingangsgedicht ‚Die Leerstellen des Todes im Okzident‘ konstruierte Leerstelle auszufüllen?
Zwischen der endgültigen Reglosigkeit des
Hinscheidens und dem unangemessenen und hysterischen
Lärm heutzutage
Bleibt ein Blick, bleibt eine Hand.
Analis lebte von 1938 bis 2012, er war lange Jahre im diplomatischen Dienst für Griechenland in Frankreich tätig, vielleicht deshalb die häufigen Bezüge zu einer überlebten Salonwelt, zu Schlössern, Rosenstöcken, Parks, Mosaiken, ja sogar eine verliebte Königin taucht auf.
Es gibt von Analis einen Gedichtband ‚Land für sich‘ aus dem Jahr 1999, auch damals schon übersetzte Handke, im Jahr 2001 erschien der Briefwechsel mit dem syrischen Dichter Adonis, erneut von Handke übersetzt.
Es ist in diesen letzten Arbeiten von Analis viel von einer vergangenen Welt die Rede, von Soldaten, Palästen, Kriegen - vieles bleibt in der Schwebe, welcher Krieg ist es wohl? Das changiert, manchmal der zweite, manchmal der erste, gelegentlich scheinen es eher irgendwelche in den 1870ern zu sein, mal sind es noch anstehende, der Krieg ist wiederkehrendes Bild für die durchweg dunkel getönte Blicke.
Stadt- und Landleute werden bald die Uniform
Der organisierten Mörder tragen, und der Mann, weitab,
Er wird die Schreie der Gefolterten nicht hören,
Allein, wird er den Meereswellen lauschen,
Um sich nicht zu widerholen.
Hier tritt tatsächlich also der erfolglose Mahner auf, der Diplomat mit Weitblick, der Analis beruflich war. Jedoch:
… die Farben haben uns
Geblendet. Jetzt
Die große Finsternis der Blicke geradeaus.(beides aus ‚Neubeginn der Erwachsenenzeit‘)
Ein seltsames, ein widersprüchliches Buch. Es wimmelt durchgehend von Finsternissen, von Frust und Verbitterung, ein eintöniger „Gesang im Land der toten Milch.“ über Rückzug, Abschied von allem, was irgendeinmal Sinn gemacht haben oder künftig machen könnte, alles wird leer, ein Schwelgen in Illusionslosigkeiten bis hin zu den „Pergamenten, auf denen man zu lesen // Glaubte“.
(…) Hier kommt die Geschichte
Von weither und geht über in Geheul.
Sie mimt Stillgestanden! Gerührt, gebiert sie
Bleiche Kadaver in den lautlosen Laboratorien der
So unnützen wie erzwungenen Arbeit.Langes Gemurmel entweicht und ersetzt
Die an den vier Ecken des Horizonts austarierten Winde.“
In seiner Art ist das sehr gelungen, wenn man sich den gedachten Leser leicht verbittert und mit grimmiger Angst dem Tod entgegenblickend vorstellt: ein solcher würde viele gelungene Formulierungen sich einprägen können, wenn das denn noch Sinn hätte und dem Gesagten nicht diametral entgegenstünde.
Das ist so schön ins Schwarze geschrieben, dass sich fast schon Brücken auftun müssten zu den gesellschaftskritischen Nekrologen mancher Spät-Pubertierenden, mir für meinen Teil ging bei der Lektüre jedenfalls auf, wie froh ich bin, diese Art des Alterns in jungen Jahren und, da bin ich hoffnungsfroh, endgültig hinter mir gelassen zu haben, wer weiß, vielleicht zielte Analis auf eine derartige Katharsis.
Ist man jedenfalls ein weniger ernst gestimmter Leser, so kratzen die düsteren Prophezeiungen nicht selten an den Toren zum Reich der unfreiwilligen Komik.
„(…) Aber man bleibt gefangen
In einem reichen Grab, wo der Vampir aus einem
Ostland uns befreien wird vom Überschäumen unsres Blutes.Niemals mehr Lachen, nein, niemals.“
(Der Folgetag im Morgenwerden).
Bei solchen Zeilen ergriff mich ein Ahnen dessen, was Handke gedrängt haben mag, die eingangs zitierten lyrischen Blüten des Grünens und Blauens dem Text nachzustellen.
Vielleicht müsste ich säuberlicher trennen zwischen dem trockenen Brot des Inhalts und der Butter der lyrischen Kunstfertigkeit, die Analis zweifelsfrei zur Wirkung bringt. Andererseits war die Neigung zur großen Geste offensichtlich nicht nur beim Verlag ausgeprägt vorhanden. Gegen Pathos-abgehärtete Freunde ausgereifter lyrischer Sprachkunst finden Material für einen halben melancholischen Abend, Liebhaber dunkler, ahnungsvoller Wendungen auch mehr.
Schreib
Für den unbekannten Freund, der kommen wird
Für die luftlose Zeit, in der zuweilen
Der Nachthimmel klarte.
Schreib
Um dich nicht zu widerholen
Um unbewegt zu bleiben und voranzukommen
Fixpoetry 2014
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