„sammelt, was die Sonne verstreut“
Dieses Buch ist für alle und jeden, ob man sich schon durch die antike Literatur gearbeitet hat, ob man sich für einen Kenner hält, oder nicht. Es lohnt sich als Einstieg, aber es lohnt auch einfach so, solitär gewissermaßen, denn dieses Büchlein macht Spaß.
Was Fremdsprachen betrifft, bin ich nämlich so etwas wie ein Universaldilletant, ich lerne so fünf bis sechs Worte, die exotisch genug sind, um bei jeder passenden Gelegenheit Sprachkenntnis zu simulieren. Sonst nicke ich an den vielleicht richtigen Stellen, indem ich einfach immer nicke, wenn ich das Gefühl habe, ein Satz sei beendet. Ich bin nicht stolz drauf, es gibt aber so viele Sprachen, die zu lernen lohnenswert wäre, dass mich schon die Entscheidung für eine überfordert.
Das oben beschriebene Verhalten nützt mir angesichts fremdsprachlicher Texte natürlich nichts. Ich hatte zwar während des Studiums ein wenig Prosaattisch gelernt, nämlich den Satz, dass ich dem schlechten Fremden nicht vertrauen sollte, aber das reicht bei weitem nicht aus, einen Text Sapphos auch nur ansatzweise zu übersetzen. Ob gut oder schlecht, ich bin auf den Fremden angewiesen, der in der Lage ist, den Text für mich zu verstehen. Weil ich den Gedanken schön fand, antike Literatur zu lesen, liefere ich mich dem aus, und so hat sich in meinem Regal eine Reihe verschiedener Übersetzungen, Übertragungen und Nachdichtungen angesammelt. Ich hoffe, dass sich auf diese Weise so etwas wie ein Original auf anderer Ebene bildet.
Jetzt ist ein schmaler Band hinzugekommen: Sappho Scherben-Skizzen. Übersetzungen und Nachdichtungen von Dirk Uwe Hansen. Erschienen ist das schön gestaltete Buch im Udo Degener Verlag Potsdam, der sich vorrangig um zeitgenössische Lyrik und Schachbücher kümmert. Man sollte ihn im Auge behalten.
Aber zurück zu Sappho beziehungsweise Hansen. Der Altphilologe, der an der Universität Greifswald unterrichtet, macht zweierlei Dinge mit Sapphos Texten, die die Zeit auf Papyri bzw. Scherben überdauerten: Er liefert eine Übersetzung des Originaltextes, den er der Ausgabe von Eva-Maria Voigt folgend nummeriert. Diesen Übersetzungen sind Nachdichtungen beigegeben, die den Text gewissermaßen noch einmal illuminieren beziehungsweise in einzelnen Facetten spiegeln. Das Ergebnis ist beachtlich.
Im Grunde werden durch diese Methode die Fragmente noch einmal fragmentiert, dabei entstehen Texte, die so etwas wie eine regenerierte Einheit sind. Das Fragment als Fragment feiert seine unzerstörbare Substanz darin. Ich erschrecke selbst ein wenig vor dem Pathos, das in dieser Formulierung liegt, aber angesichts des Entstandenen scheint es angebracht. Außerdem erhalten Texte die vor ca. 2600 Jahren entstanden sind, ein zeitgenössisches Pendent.
Und vielleicht ist es ja auch so, dass alle Übersetzerinnen und Übersetzer, aber auch Leserinnen und Leser, Medien sind, durch welche Sapphos Texte in einer je besonderen Form wirken. Bei Hansen eben in der Fragmentierung des Fragments. Denn so muss er nicht vor der „ganzen“ Fülle und Bedeutsamkeit des Originals und der übergroßen Anzahl der Übersetzungsversuche kapitulieren, sondern setzt ihnen eine Einzelheit entgegen in einem eigenen Licht.
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