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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Kein Platz für Unbequemes

Zwei neue Bücher und kein Journalismusproblem für den Hiphop
Hamburg

Deutschsprachiger Rap hat ein Journalismusproblem. Das heißt, im Grunde hat er gar kein Problem, aber das ist ein großes. Mindestens so groß wie das Ego von Fler, der dieses Problem Anfang des Jahres in einem – so er selbst – »epischen Interview« mit dem Traditionsmagazin Backspin auf den Punkt brachte. Der Vorwurf: In der Rap-Szene würden die einschlägigen Magazine nicht Stellung beziehen, sondern sich entweder als Teil des Promotion-Apparats vereinnahmen lassen oder aber substanzlosen Gossip verbreiten.

»Du musst nicht neutral sein«, polterte der Rapper gegenüber Backspin-Chefredakteur Niko Hüls.

Nur weil jemand anderes gerade Klickzahlen liefert, nur weil jemand Verkaufszahlen liefert, verkaufst du deinen Arsch mit.

Statements, die nicht der Ironie entbehren: Im selben Gespräch lässt Fler die Welt am Einkaufspreis seiner Uhr teil haben - 30.000€. Drunter macht er’s selber nicht.

 

 

Musikjournalismus und Rap haben seit jeher ein schwieriges Verhältnis. Soll heißen: Ab und zu gibt’s aufs Maul. Marcus Staiger, Gründer des Labels Royal Bunker und zwischen 2008 und 2011 Chefredakteur von rap.de, musste das mehr als einmal erfahren. Er gehört zu den wenigen, die trotzdem journalistisch noch austeilen. Staiger selbst konstatiert gegenüber Sascha Verlan nüchtern, dass es

in Deutschland keine Tradition eines engagierten, konfrontativen Musikjournalismus gibt - zumindest nicht im HipHop.

Das ist just das Problem, das keins ist.

Zu lesen sind diese Worte in der bereits dritten Neuauflage eines mittlerweile auf fast 600 Seiten angewachsenen Buches, das Verlan gemeinsam mit Hannes Loh erstmals 2000 veröffentlichte. Aus 20 wurden 25 und schließlich "35 Jahre HipHop in Deutschland". Verlans und Lohs Wälzer wirkt auf mehrere Arten wie aus der Zeit gefallen - und das nicht nur, weil er sich mit seiner unverhohlenen Verehrung für Torch und dessen Crew Advanced Chemistry klar in einer Traditionslinie der sogenannten Old School und deren Wertekatalog positioniert, von der sich - so das Vorwort der Neuauflage - viele aktuelle Rapper distanzieren wollen.

 

 

Wie weit der Graben zwischen Old School und dem Straßen-affinen Rap im - mittlerweile schon - 37. Jahr deutscher Hip Hop-Geschichte aufklafft, zeigt sich am Beispiel der Absoluten Beginner. Die Hamburger Rap-Crew - mittlerweile auf den Namen Beginner verkürzt - holten für ihre Comeback-Single »Ahnma« das 187er Straßenband-Mitglied Gzuz vors Mikrofon. Die Single polarisierte. Die eine Seite lachte über Jan Delays »Eizi Eis / der heiße Scheiß«-Raps, die andere schnitt Gzuz glatt aus dem Video. Zwei Mentalitäten, vielleicht zwei Generationen kommen im selben Genre nicht auf einen Nenner. Dabei wird doch im Geschäft mit der Provokation tunlichst drauf geachtet, die Zielgruppe nicht fremdeln zu lassen. Im Inteview mit der Spex fällt Beginner-Mitglied Denjo ein kritisches Urteil über die aktuelle Gangsta-Rap-Garde:

Es geht um Quanität. Man will hoch charten, Geld verdienen, gut ankommen. Da bleibt kein Platz für Unbequemes.

Hauptsache, die Amazon Gold-Box verkauft sich, Politik wird zur Nebensache.

 

 

Das Problem ist auf den ersten Blick auf Produktionsseite dasselbe wie in der Rezeption: Es konkurrieren ein (vermeintlich) ideologisch gefestigter Underground beziehungsweise kritischer Qualitätsjournalismus mit einer zynischen kapitalistischen Verwertungslogik, welche - so Loh - von der Figur des Gangsta-Rappers auf die Spitze getrieben würde. Fler trägt nun mal eine 30.000€-Uhr, wenn er sich von einem Journalisten interviewen lässt, der pro Jahr womöglich unwesentlich mehr, wenn nicht sogar weniger verdient und der sich auf eine vorgeblich objektive Position zurückzieht, welche Staiger als »Tarnkappenjournalismus« bezeichnet.

Tatsächlich hat sich ein ganzes Geschäftsmodell entlang dieses Tarnkappenjournalismus entwickelt: Internet-Portale wie RapUpdate liefern kaum mehr als zweizeilige News, die mit viel Werbe-Placement und reißerischen Headlines über soziale Netzwerke verteilt werden. Die letzte Schlägerei, der neue Sportwagen, ihr glaubt nicht WER gerade mit WEM im Studio ist!!! Clickbaiting, das vermutlich um ein Vielfaches rentabler ist als jeder Kommentar auf Portalen wie All Good, dessen Gründer Jan Wehn bereits 2014 klagte, er habe irgendwann »nur noch nett« geschrieben.

Böser, weil direkt aus der Szene heraus und unter dem Deckmantel einer gewissen Halbanonymität, agiert Graphizzle Novizzle. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich ein Karikaturist, dessen Zeichnungen mittlerweile auch in Printmagazinen wie der JUICE abgedruckt werden und der nebenbei einige Bände seiner laufenden Szenekommentierung herausgebracht hat. Graphizzle Novizzle veröffentlichte kürzlich unter dem anspielungsreichen Titel »Rap ist...« - so auch der Name eines weiteren Online-Portals, das sich mittlerweile in Heckmeck.TV umbenannt hat - einen Cartoon, in welchem die Misere pointiert zusammengefasst

Rap ist... wegen einer negativen Review seinen Job zu verlieren.

Gemeint sind selbstverständlich nicht etwa Rapper, die wegen ausgebliebener positiver Rezeption seitens der Presse ihre Karriere beenden. Sondern Journalisten, die womöglich potentielle Werbepartner und damit Existenzgaranten verärgern. Aufs Maul gibt’s obendrein.

Dann doch lieber nett nicken und neugierig gucken. Fast erfolgreicher noch als etablierte Formate wie die des Splash! Magazins oder anderen sind mittlerweile Amateur-Sendungen wie etwa TV Straßensound, deren stümperhafte Moderatoren mittlerweile ihre eigenen Satire-Accounts auf Twitter bekommen haben. Unter anderem zuletzt bei TV Straßensound zu Gast: Fler mit einem ziemlich unepischen Interview. Einer ganzen Reihe an »wie kam es dazu?«-Fragen und »ach, interessant«-Kommentaren konnte selbst ein Hitzkopf wie Fler wenig Reibung entlocken. Tarnkappenjournalismus ist ein Wort dafür, Teflonjournalismus wäre ein anderes.

Dabei ist es nicht so, als würden Verlan und Loh oder etwa ein anderer Cartoonist wie Ed Piskor, der vor einer Weile den zweiten Teil seiner Comic-Serie Hip Hop Family Tree in Deutschland bei Metrolit veröffentlicht hat, wesentlich kritischer mit der Materie umgehen. Verlan und Loh bemühen sich zwar um wissenschaftliche Distanz und Fairness gegenüber dem, was für sie nicht die Grundgedanken von Hip Hop verkörpert. Sie geben aber ebenso zu, sich mit den Werten der Old School, welcher sie selbst entwachsen sind, zu identifizieren. Ähnlich Piskor, dessen Methode strukturell eine Technik des Hip Hop spiegelt: Er samplet Farben wie die ProduzentInnen der frühen Jahre - im zweiten Band geht es um die entscheidende Phase zwischen 1981 und 1983, in welcher der Mainstream erstmals Wind vom Sound der Bronx bekam - die ihre ersten Platten per post-modernem Verfahren aus Versatzstücken von Kraftwerk- oder Soul- und Funk-Platten produzierten. Piskors Rückschau, so respektlos sie gegenüber den Macken von einigen ihrer ProtagonistInnen auch ist, gibt sich vor allem als nostalgische Hommage. Sie reproduziert in der Gegenwart die Werte der Vergangenheit. Hip Hop Family Tree Volume 2 ist eine liebevolle Geschichtslektion, die mit den Mitteln ihres Gegenstands erzählt wird.

Die Frage ist natürlich, wer sich dafür interessieren soll. Die jungen Rap-Fans, deren Kultur sich in erster Linie auf Clickbait stützt, lassen sich wohl kaum von einem der Bücher abholen. Graphizzle Novizzles brutaler Feinsinn für die Szenebewegungen, der sich nicht allein über Printveröffentlichungen, sondern vor allem das Netz ständig aktualisiert, stellt schon mehr Identifikationsmöglichkeiten zwischen Publikum und kritischer Rezeption her, gerade weil er dafür die Kanäle verwendet, in denen Rap mittlerweile stattfindet. Denn die Möglichkeit einer »Kultur des Zusammenlebens«, welche Verlan und Loh - vielleicht nicht ganz zurecht, wie auch die von Piskor dargestellten Grabenkämpfe und Intrigen illustrieren - im Hip Hop sehen, ist in unserer von zu vielen Aufmerksamkeitsentscheidungen überlasteten Wahrnehmung allgemein kaum noch möglich. Warum sollte sie das in einer Szene sein, die - ob in Rap-Battles, Twitter-Beefs oder, auf den Journalismus übertragen, um Klickzahlen - massiv auf proto-kapitalistischen, egozentrischen Wettbewerben fußt?

Also, Old School und aus? Vielleicht. Dass 35 Jahre Hip Hop in Deutschland damit allerdings noch nicht am Ende angekommen sind, steht indes fest. Denn selbst Fler, Nutznießer des Gangsta-Rap-Hypes und Aufsteiger aus dem ideologischen Underground ins Rampenlicht des Mainstreams, mault bereits genauso über die nachfolgende Generation wie Old School-Heads, wenn sie Gzuz zwischen den Beginnern spitten sehen. Crews wie die Glo Up Dinero Gang um Money Boy oder Live From Earth mit ihrem verdrogten Posterboy Yung Hurn aktualisieren deutschen Hip Hop in eine andere Richtung als zuvor. Sie sind weder Gangsta noch Old School, scheinen zu weiten Teilen kaum mehr als eine Karikatur etablierter, zu großen Teilen aus den USA übersetzten Standards, Codes und Tropen.

Damit aber bringen vor allem Live From Earth eine Art von performativer Metareflexion in eine Szene ein, in der Reflexion breitenwirksam ausgeschaltet wurde. Die Wiener-Berliner Crew nämlich verkauft keine Amazon Gold-Boxen, sondern steht für eine erratische DIY-Attitüde. Musik gratis verticken und Fuffis schmeißen, das schließt sich hier nicht mehr aus - weil die Bezugsquellen mittlerweile andere sind. Geld wird mit Merchandising und Konzerten gemacht, während ein Fler die Verkaufszahlen seiner Konkurrent aus dem Effeff rezitieren kann.

Das mag in Bezug auf kritischen Hip Hop-Journalismus zuerst wenig heißen. Aber wenn Rap-Erfolg entlang der musikindustriellen Erosion möglich ist, läge darin zumindest ein Trost, wenn nicht sogar Strategien für eine Rekalibrierung des Journalismusproblems. Denn weniger geht es um die Funktion, sondern vielmehr die Form. Vielleicht kann die kritische Auseinandersetzung mit einer kurzlebigen Szene wie dieser nur davon profitieren, sich strukturell an sie anzupassen. Das heißt: weniger auf Longform zu setzen und dafür mehr Kritik ins Handgemenge zu bringen. Für die Auslese im Nachhinein können dann immer noch Bücher geschrieben und Comics gezeichnet werden.

Ed Piskor
Hip Hop Family Tree Volume 2
Übersetzung:
Stefan Pannor
Metrolit
2015 · 112 Seiten · 22,00 Euro
ISBN:
978-3-8493-0103-3
Sascha Verlan · Hannes Loh
35 Jahre HipHop in Deutschland
Aktualisierte und erweiterte Ausgabe des Standardwerks über die deutsche HipHop-Szene
Hannibal Verlag
2015 · 624 Seiten · 24,99 Euro
ISBN:
978-3854454793

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