Keine alten Hüte
Elfriede Gerstl war eine Meisterin der kleinen Form – wer ans Zierliche, Überästhetisierte denkt, irrt. Sie war eine Meisterin des Alltäglichen – wer auf Formlosigkeit oder eine Verhaftung in ihrer Zeit denkt, irrt, und erst recht, wer aus den Bagatellen, die manchem Gedicht zugrundeliegen, schließt, damit sei auch die Dichtung hierzu Bagatelle. Gerstl war kurzum eine genuine Dichterin, die den Kosmos in seinem falschen Schweigen, in seiner Schweigsamkeit der Macht zu entlarven verstand, die das Verschwiegene selbst sprechend machte, die mittels der kleinen, unscheinbaren Dichtung das Große ins Wanken brachte, Mikrologien entfesselte, die schließlich ans Sein rührten, jedenfalls: wenn das nicht schon wieder so ein großes, falsches Wort wäre. Mit Jelinek: „Elfriede Gerstl ist das Gegenteil von dem, was hier immer schon gewesen ist und immer sehr geschätzt wurde.”
Das soll Elfriede Gerstl auch bleiben, eine Irritation, nun in Leinen gebunden, in einer Werkausgabe, worin sich jedoch alles gegen das Werk, das sich abschließen ließe, noch immer wehrt, die Buchdeckel rebellisch aufreißt, mit der höflichen, aber bestimmten Vehemenz dieser Dichterin, die stringenter als die meisten zeigte, was Worte sein können und sollen. Neben allerlei Lyrik finden sich da auch sehr akkurate, stets unprätentiöse Analysen, Essays, Experimente – und schließlich auch Worte von anderen, so Konstanze Fliedl, der es freilich trotz ihrer unbestrittenen Kompetenz auch nicht gelingt, zu bändigen, was da wirkt; man darf vermuten, das kann man nicht, es wäre auch weder im Sinne Gerstls oder Fliedls gewesen, die also demonstriert, daß selbst ein sensibler wie kenntnisreicher Zugriff diese Dichtung nicht zur Ruhe bringt, eine Probe aufs Exempel, gleichsam: „da nützt nichts Gutgemeintes, und auch daß, was sie schreibt, gut ist, genügt nicht”, so Elfriede Jelinek über dieses Ungenügen des Redens über diese Dichtung.
Gerstl ist spielerisch, es geht ihr um „Verkenntnis”, um ein Freiwerden der Dinge durch die Worte und zugleich von den Worten. Es ist ein ernstes Spiel, „zitierfähige” Formulierungen zu finden, die wie vieles das Werk sprengen, verlassen, die Veränderung bewirken und zugleich bewerben. Dabei kann, soll und will man Komplize sein, diese Besprechung jedenfalls ist in der Hoffnung geschrieben, daß viele neue Leser für diese wichtige, liebevolle, kämpferische Stimme gewonnen werden. Wem Sprache ein Anliegen ist, und zwar auch um dessentwillen, was diese kann und in unserer Zeit wie wohl jeder auch tun muß, der kaufe dieses Buch – so schwierig und so einfach ist es!
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