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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Das Geld und das Nichts

»Alles, was wird, stirbt, das aber nicht. Der Wohnwagen brennt, die Wohnung ist entflammt, alles steht in Flammen, doch keiner ist für uns entflammt. Nur eines lebt.«
Hamburg

In einem 2012 erschienen Interview mit der Zeitung Ragusa News 1 wurde dem italienischen Philosoph Giorgio Agamben die Frage gestellt, ob die Beschwörung der Krise und Ausnahmesituation durch die Regierung (unter dem – mittlerweile zurückgetretenen – Ministerpräsident Mario Monti) die einzige Lösung sowohl für die Finanzkrise als auch für die sittenwidrigen Formen sei, welche die Macht in Italien angenommen habe, oder ob es sich dabei lediglich um einen Vorwand handle, demokratische Freiheiten gravierend einschränken zu können. Seine Antwortet darauf lautete, dass Krise und Ökonomie gegenwärtig nicht mehr als Konzepte sondern wohl eher als Befehlsworte zu deuten seien. Befehlsworte, die die Einführung und Akzeptanz solcher Maßnahmen erleichterten, gerade weil sie, so Agamben unter Berufung auf Walter Benjamins Fragment Kapitalismus als Religion, im Namen einer höheren Macht, nämlich der des Geldes, in dem Gott heutzutage objektifiziert sei, verlautbart würden. Betete man früher noch ein göttliches Subjekt an, sei dessen Platz heute fast gänzlich durch Geld ersetzt worden. Dort, wo früher Kirchen standen, stünden nun die Banken mit all ihren gesichtslosen Drohnen und Experten.

Auch wenn diese etwas verkürzte und paraphrasierte Aussage Agambens keine wirklich neue Erkenntnis liefert (abgesehen davon, dass Benjamin dies bereits 1921 in dem besagten Text ähnlich beschrieb (und zwischenzeitlich bereits der nächste Ministerpräsident Italiens seinen Rücktritt eingereicht hat)), führt sie doch mit etwas Fantasie mitten hinein in das Szenario, das Elfriede Jelinek in ihrem auf Richard Wagners Opernzyklus Der Ring der Nibelungen wandelnden Bühnenessay Rein Gold gleich zu Beginn skizziert: Dort wo Geld die Welt regiert, kann selbst ein Gott sich verschulden.

In einem monologisch ausufernden Dialog lässt Jelinek den höchsten Germanengott und dessen Tochter – wie im dritten Aufzug der „Walküre“, in dem Wotan seine Tochter wegen ihres Ungehorsams dazu verdammt, von einem Feuer umringt auf einen Helden zu warten, der sie erlösen würde – erneut aufeinandertreffen, um die kapitalismuskritische Lesart des Ring-Mythos weiterzuspinnen. Hier aber steht nicht mehr primär die Bestrafung Brünnhildes im Vordergrund, sondern deren Kritik an Wotans fahrlässigem Umgang mit Geld, denn dieser hat sich beim Bau seiner Burg Walhall finanziell übernommen. Die versprochene Entlohnung an die ausgebeuteten Riesen kann nicht ausbezahlt, der Kredit nicht abgezahlt werden, weshalb er sich von seiner Tochter Brünnhilde erst einmal eine über vierzig Seiten lange Standpauke anhören muss, bevor er selbst das Wort ergreifen kann: »Ich hör dir jetzt seit Stunden zu, aber was hast du gesagt?«

Geschrieben auf Anregung der Bayerischen Staatsoper München, am 1. Juli 2012 im Prinzregententheater in München zur Urlesung gekommen und im Wagner-Jahr 2013 bei Rowohlt um neunzig Seiten erweitert erschienen, flicht Jelinek die Mythen Wagners motivisch als auch mittels direkter Zitation eng an tagesaktuelle Themen, die auch teilweise bereits in ihren früheren Texten aufgetaucht sind. Immobilienblase, Finanzkrise, Schuld(en), germanische Heldensymbolik, Brautwerbung, Vertragsbrüche – »Diebstahl am Anfang, Diebstahl am Ende, dazwischen Betrug«. Die Burg Walhall wird da zur Burg Wedel des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff; die auf ihren Helden warten müssende Brünnhilde wird kurzerhand zur mit Feuer spielenden Nazi-Braut; »das Zehnjahres-Mordjubiläum mit Paulchen Panther« der NSU wird zu einer »Leistung in einer Zeit, in der Leistung normalerweise nichts mehr zählt, sondern nur noch das Geld.«, und etwaige weitere Verbindungen zwischen politischer und ökonomischer Korruption werden mithilfe Marx, Freud, Felix Doelekes Facharbeit Analyse einer Getränkedose zur Abschätzung des Energiebedarfs bei ihrer Herstellung u.a. durchexerziert, bis sich die Wörter so lange gedreht haben, dass Wagners Geschichte in einem gegenwärtigeren Glanz des Goldes erstrahlt. Dabei ist Jelinek auch diesmal kein Sprachspiel zu abgegriffen, kein Kalauer zu banal, schließlich ist sie sich der eigenen Parodie und Selbstverspottung stets mehr als bewusst (»Rheingreifen, Entschuldigung, blöder Witz, wie meine Witze immer, Sie schreiben es! ich mach ihn trotzdem«). In einem endlos ausufernden, assoziierenden Strom aus Verschiebungen und Assonanzen, intertextuellen Verweisen und tagesaktuellen Katastrophen treibt sie den Wörtern und Sätzen jegliche Bedeutung aus, bis nur noch das Geld übrigbleibt, umgeben von Nichts. Diese das Geld umgebende Leere ist es jedoch auch, wohin der Text schließlich führt – sperrig, eine Geduldsprobe, ohne Halt und manchmal so beschleunigt, dass die Sätze in eine monotone jedoch rhythmische Fläche übergehen, während der Inhalt aus dem Blick verschwindet, schreibt sich der Text voran, bis an den Punkt, an dem nur noch Geld auszumachen ist, an dem es frei sein wird, »auch frei von sich selbst und daher erst es selbst sein, ganz es selbst […], es wird zum Gottvater von sich selbst«.

Elfriede Jelinek
Rein Gold
Rowohlt
2013 · 224 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-498-03339-2

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