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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Lesenswertes zu Sehenswertem

Hamburg

Etwas zu verstehen ist manchmal einfacher, wenn man es in seinen Anfängen liest: ohne die Verflechtungen, wenn die Inszenierungen noch steif sind – wenn beispielsweise der Neofaschist im österreichischen Wahlkampf verkündet, man werde sich noch wundern, was alles gehe.

An die Anfänge einer neuen Kapitalismus-Interpretation in den US-amerikanischen Sixties – einer Interpretation, wonach nicht das Unternehmen im Mittelpunkt steht, sondern dessen Bewerbung, bis die Präsentation die eigentliche Unternehmung darstellt, siehe Apple & Co. – begab sich die Serie "Mad Men", die Elisabeth Bronfen einem close reading oder watching unterzieht.

In ihrem gleichnamigen Band analysiert sie, wie bezeichnenderweise im Milieu oder Soziotop der Werbenden die USA sich neu erfanden und erfinden. Es dreht sich alles um die

großartigen Möglichkeiten, die man sich […] versprochen hat.

Schöpfungsgeschichte, kapitalistisch: Im Anfang war der Kredit … Der Traum ist aber prekär, der Alptraum das Prekariat;

der Traum könnte […] schon längst verloren gegangen

sein … Dass die Krise dem Glauben immanent ist, dass er ihrer bedarf,

um zu sich zurückzukommen, sich wiederzuentdecken

das ist die Pointe dabei. Die Werbung ist auch dies, sie ist Reflex des Produkts, das sich neu positioniert und das den Glauben ans Unternehmen, immer wieder befeuern muss, um es wieder und wieder zu erschaffen, "Selbstentwurf", immer wieder, nicht nur in der unmittelbaren, folgerichtigen Entwicklung dessen, was gemacht werde, sondern dessen, was es sein wolle, welchem Bedürfnis es entspreche … und welches es initiiere …

Der Unternehmer überschneidet sich mit dem

archetypischen amerikanischen Hochstapler

der vielleicht bloß eine Schwundstufe dessen ist, was das Unternehmen sein könnte. Und schon das mag etwas verkennen. Das, was nicht stimmt, ist das, was noch nicht stimmt – immerhin. Die

Heterotopie Fahrstuhl

ist, worin sich alles berührt: Die

Enge des Fahrstuhls

ist zugleich, was permeabel macht, machen müsste, ist die Krise als Chance. Sie

wird unweigerlich nachklingen

– Fiktion wird Krise, Krise wird

metafiktional[er]

so Bronfen. Beziehungsweise genau so nicht, denn natürlich sind dies nur einige Linien, die sie zieht, anhand einer spannenden Serie, deren Virulenz sie erschließt. Das ist der Kern ihrer Deutung. Das, und ausserdem die „Anspieltipps”, die den Band beschließen. In ihnen blitzt das brisante Spiel von Unternehmen, Unterstellen, Hypothek und Hyperbolik je nochmals auf – Lesenswertes zu Sehenswertem.

Elisabeth Bronfen
Mad Men
Diaphanes
2016 · 160 Seiten · 14,95 Euro
ISBN:
978-3037344866

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