Was gilt?
Schon auf dem Umschlag geht es los mit dem ersten Gedicht. „Aus ‚IMPFSCHEIN BIS KÜNDIGUNG’ Loch-Ordner, VEB Pirol Lößnitz
Die Dinge in den erregenden Verhältnissen,
das sind die Worte.Ich habe den Verhältnissen gekündigt,
sie waren falsch,nur deshalb waren sie erregend.“
Viel wird über politische Kunst, politische Dichtung gesprochen, geschrieben. Was das sein könnte. Wie das aussehen, sich anhören könnte. Sie wird gefordert. Verlacht. Angegähnt.
Das meiste ist Kitsch. Anbiederung. Heuchelei. Politisch an der politischen Kunst oft nur, dass die Themen dem Bereich der Politik, des öffentlich Debattierten entnommen sind. Politisch also bloß die Oberfläche. Das beruhigt das Gewissen. Ist aber nichts anderes als mit dem SUV zum Ökomarkt fahren, um eine lokal produzierte Zwiebel zu kaufen. Kosmetik, die den grundeinverstandenen Lebenswandel überschminkt.
Wenn man danach fragt, wie politische Kunst ästhetisch zu bestimmen wäre, also nicht an ihrer thematischen Oberfläche, sondern inhaltlich, formal, in ihrer Wirkung, wird es schwieriger mit den Kriterien.
Es reicht nicht, zu sagen, „politisch“ heiße „nichtaffirmativ“, „eine Differenz markierend zu den bestehenden Verhältnissen“ – da müsste man erst mal bestimmen, was die „bestehenden Verhältnisse“ sind. Auch und gerade poetologisch. Gemeint sein können doch nicht die sogenannt „sperrigen“ Texte, die vor allem eins sind: Subversivität auf Bestellung. Das ist dann der Kitsch der Kitschhasser. Verliebt in Hermetik aus Narzissmus und Faulheit. Dagegen ist Überaffirmation, wie Pop sie betreibt,geradezu zersetzend, immer noch.
Kunst ist immer Produktion, bleibt Produktion auch da, wo sie sich abwendet, fortgeht.
Selbst im Schweigen. Das, in der Kunst, kein Schweigen ist, sondern ein ausgestelltes Schweigen. Betonte Stille, gerahmte Leere. Ein Schweigen mit Bedeutung, ohne Inhalt auf Ebene eins, dafür umso mehr Inhalt auf Ebene zwei. Metakunst.
An die Stelle einer Erfahrung tritt eine Worthülse, die die Erfahrung simuliert. Auch das ist ein Ankommen im Bekannten, das ihr so unter die Haut, ins Hirn gewachsen ist, dass es subkutan vernarbt und den Kreativitätsprozess beschleunigende Drogen liefert.
Wenn man daraus überhaupt etwas erfährt, dann: Verrat.
An der Wirklichkeit. An der Erfahrung. An der Erinnerung an die Erfahrung. An der Sprache, in der man die Erinnerung an die Erfahrung festhalten zu können glaubt.
Wenn es eine ästhetische Qualität gibt, die substantiell politisch ist, so ist es die der Nuance, der Genauigkeit. Sich nicht betäuben lassen vom Furor der Schreibbewegung. Sondern wahrnehmen. Sehen, was ist, was entsteht. Das abtasten. Die Differenz zum Material, zum Formwillen deutlich machen. Nicht mit der eigenen Kunst verschmelzen wollen, sondern sie sich, sich ihr gegenüberstellen als das andere.
„Jetzt aber bin ich wortlos.
Ich weiß nicht, wo ich bin, in welchen Verhältnissen
jetzt.“Schnitt. Gegenschnitt.
These. Antithese.
Das Politische der politischen Kunst – die Wahrheit – liegt nicht im Inhalt, sondern in der Form. In der Art, wie ein Thema behandelt wird. Ob da unter etwas ein Haken gemacht wird, oder ein Strich mitten durch. Ein Strich, aus dem eine Linie wird, man weiß nicht, wohin. Geht aber mit in dieses Ich-weiß-nicht, aus Neugier, aus Widerspruch, aus Lebenslust.
Politisch ist, was die Sinne weckt. Was stört. Nervt. Was Schönheit knapp vermeidet. Dadurch herstellt. Was einen unauflösbaren Rest lässt, von dem man nicht weiß, ob man daran erstickt oder ob er einen nährt.
Das kann auch ein Liebesgedicht sein. Ein Naturgedicht.
Die jetzige Welt scheint abgedichtet gegen den Zweifel. Das Nichteinverstandensein.
Das Randständige, Stumme, Abgewandte, das seine Spuren löscht, restlos, also auch jede Erinnerung an die Spur.
Wie kündigt man den Verhältnissen, begibt sich in die einzig noch mögliche – ja, was für ein Paradox – Utopie?
Es gibt, wird beim Weiterlesen dieses den schmalen Band eröffnenden Textes (er entstand 1965, im März 2013 hat Erb ihn „emphatisch ververst“), es gibt, wird beim Weiterlesen klar, keinen Ort mehr, von dem aus sich so ein Text heute schreiben ließe, nicht hier, in diesem Land, in diesem System. Das alles vereinnahmt, domestiziert, indem es ihm einen Preis gibt, es zu einer Marke macht.
Für mich ist das Lesen des Gedichts verbunden mit einer großen Wehmut. Einer Sehnsucht.
Wenn sich doch den Verhältnissen, heute, so einfach kündigen ließe.
Aber was heißt einfach. War es denn damals, 1965, einfach?
„Wie kann ich die Dinge gewinnen,
ich brauche sie doch, ich brauche ihre Namen,welche Dinge treten in welche Verhältnisse
ein? Was
gilt?“
Auch sie, Erb, hatte nur eine Möglichkeit: das Dilemma, in dem steckt, der kein außen mehr hat, thematisieren. Die Verzweiflung darüber, die Mutlosigkeit, die einen ergreifen kann, angesichts dieses Befunds, angesichts der Verhältnisse.
„Die Gewohnheit, gegen die Türen
zu schlagen, beherrscht mich noch,und ich schlage in den Wind,
zwischen die Blumen, die Schornsteine . . .“
Da kapiert man, wie es gehen kann. Nicht etwas Fertiges wird einem vorgesetzt, sondern der Prozess, in den gerät, wer verraten wird, wer zweifelt, wer den Halt verliert, zwischen die Dinge rutscht, die Gewissheiten, die vorgeblichen, vermeintlichen, an die man zu glauben hat, an die zu glauben man sich gewöhnt hat, weil alle sich gewöhnt haben, arrangiert haben.
Was tun?
Nichts tun.
Warten.
Zur-Ruhe-Kommen.
Lesen.
Erb lesen.
„Die Gewohnheit, gegen die Türen
zu schlagen, beherrscht mich noch,und ich schlage in den Wind,
zwischen die Blumen, die Schornsteine . . .“
Politische Kunst gibt einem ein Werkzeug in die Hand, mit dem man die Wirklichkeit bearbeiten kann, umgraben, beackern. Die wirkliche, körperliche, ästhetische. Die der Gedanken, der Sinne. Sie ist kein Produkt, sondern eine Praxis.
Die des Nichteinverstandenseins, der Verzweiflung, der sich behauptenden stolzen Schönheit, der Sinn- und Nutzlosigkeit, der Intimität, der Scham, des hoffnungslosen Mutfassens.
Und da ist dann diese Frage (wieder) da, möglich: Was gilt?
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