Das Rettungslicht der Pazifikküste
Das Buch hätte auch Seismographisches heißen können, nach der letzten der vierzehn Betrachtungen, die Erich Wolfgang Skwara seit den siebziger Jahren geschrieben hat und die nun gesammelt in dem Band Eine Wirklichkeit des Sirenengesangs erschienen sind. Es handelt sich um eine vom Autor getroffene Auswahl, die den Begriff der Betrachtung nicht nur als Mittel versteht, etwas zu betrachten, sondern den Fluß des Beobachtens, Betrachtens, Verweilens selbst mit zur Sprache bringt. Deshalb sind hier poetische Erzählung und politische Stellungnahme ebenso verknüpft wie literarische Reflektion. Und der Autor läßt offen, wo die vermeintliche Realität beginnt, wo die Vorstellung. So klingen im ersten Stück Besuch in Wien bereits Themen an, die später explizit ausgeführt werden – Skwaras Blick auf Österreich, und damit auch sein Fernblick aus den USA, in die er Anfang der siebziger Jahre gezogen ist. Während er in dieser ersten Betrachtung vom Hotel Imperial etwa im selbstverständlichsten Ton spricht, und man den fiktionalen Charakter der Erzählung doch zu spüren meint, wird im Gedankengang Österreich: Gab es dieses Land? das Imperial kursiv hervorgehoben, und man fragt sich: warum? Ist die Hervorhebung Realität, das Selbstverständliche Fiktion? Spielerische Verschiebungen deuten den Grundcharakter dieser Sammlung an, und auch, warum sie sich von Betrachtungen anderer Autoren abhebt: Skwara schreibt nicht schlichtweg über sich und anderes, sondern mit der Literatur durch sie und ihr Umland hindurch – die Politik, das Leben.
Das bedeutet, aus der Distanz betrachtet: Literatur ist nicht theoretisch aufzulösen in Sprachphilosophie oder von der Erfahrung zu trennen, aus der sie entsteht, wie so manche im Fahrwasser der französischen Linguistik meinten. Der Autor verteidigt „die Möglichkeit, Sprache privat (…) zu benutzen“. Literatur ‚verschiebe’ menschliche Beziehungen, wie er in dem zentralen Essay Eine Wirklichkeit des Sirenengesangs vermerkt – zentral darum, weil er dem Schreiben angesichts seiner radikalen Infragestellung gewidmet ist, dem Schreiben von Jean Améry. Kaum jemand erfindet die Wörter, mit denen er redet, das stimmt; aber kein Rhythmus, keine Sprachmelodie ist determiniert. Die ‚Option des Subjekts’, wie Skwara mit Améry schreibt, ist nicht allein der Gedanke, es ist die Dringlichkeit dieses Gedankens, sein Laut, sein Klang, der einen trifft – Sirenengesang. Er selbst ist sich der ‚romantischen Binsenweisheit’ bewußt, die er auf die Art im Ausdruck sucht. Und spürt dem nach, was ihn daran festhälten läßt, was eine solche Lesart von Literatur ihm nach wie vor verspricht.
Zwei Schriftsteller stehen dabei im Vordergrund: Thomas Bernhard und Peter Handke. 1989 betrachtete er Bernhard noch als „einen Autor der Zukunft. Kalt, präzise, ohne Weinerlichkeit und Schicksalszappelei (…).“ Manchmal sei er als Student von Salzburg aus extra nach München gefahren, weil ein neues Buch von Bernhard in Deutschland bereits erhältlich war, „wohingegen ich im österreichischen ‚Ausland’ eine weitere Woche auf das Buch hätte warten müssen; so viel zur Droge Thomas Bernhard.“ Noch bis weit in die neunziger Jahre hinein wird diese Auffassung einer Literatur ‚der Zukunft’ das eigene Schreiben von Skwara beeinflussen, mit dem Versuch einer Heimkehr von 1998 als Höhepunkt – eine schmale, kalte, präzise Erzählung, ein bestechendes, minutiöses Panopticon seiner Kunst. Doch schon neun Jahre zuvor klang der Name des anderen Autors an, am Ende seiner Lobrede auf Bernhard, als Beispiel für ein Verlangen, das ihm selbst nur schwer erklärlich schien: „Ich befinde mich in einer Stimmung, die ohne an Trost viel zu glauben, des Trostes bedarf. Und Thomas Bernhard schenkt keinen Trost (…).“ Der Rhythmus, der Klang, bewegt sich auf einer Stimmung – und inmitten des Sirenengesangs klingen andere Melodien an, eingebildete vielleicht, nur vorgestellte, deren Ausdruck allein sie beweist, sich und anderen. In dem vorletzten Text der Sammlung, Die Salamandertöter und die Schönheit, fließen Erinnerung, Betrachtung, Vorstellung ineinander, zeigt sich das Verlangen als das Erwachen eines Jungen, an der Küste Kroatiens. Der Trost ist lang schon gewesen, so scheint es – die Helligkeit, das Meer, wie der Autor sie auch als das einzige Indiz dafür anführt, was ihn für seinen jahrzehntelangen Arbeitsort San Diego eingenommen hat: das „Rettungslicht der Pazifikküste“. Professor of Humanities and German ist er dort an der Universität, und man fragt sich natürlich, ob irgendwo nicht auch der Literaturwissenschaftler sich zu erkennen gibt. Aber nein, seine Vorlesungen über deutsche Literatur habe er aufgegeben. Lieber konzentriere er sich lang schon auf Humanities, und das heißt in seinem Fall: die Welt der Renaissance. Daß dies kein Ausweichmanöver ist, liest man mit jeder seiner Betrachtungen zur Literatur: Nie äußert er sich ‚akademisch’ zu Georg Trakl oder Robert Musil, immer aus der Sicht des empathischen Lesers. Dennoch könnte ein Austausch zwischen Autor und Akademiker hier vielversprechend sein: Man lese etwa Skwaras Gedanken zu Musils Verschränkung von Ästhetik und Ethik und nehme den Essayband Imaginationen des Bösen hinzu, von Karl Heinz Bohrer. Das letzte Kapitel darin zeigt diese Verschränkung sehr klar, sehr nuanciert. Mit Skwara jedoch zeigt sie sich wiederum im eigenen, alltäglichen Leben. Seine Betrachtungen erlauben eben auch Betrachtungen dieser Art, und diese Vielschichtigkeit ist der ebenso anspielungsreichen wie konsistenten Komposition seiner Sammlung und Texte zu verdanken. Ob es Österreich aber gab oder nicht, die Frage bedarf natürlich keiner realpolitischen Antwort – und ist doch nicht nur rhetorisch gemeint.
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