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Kritik

Die Bibliothek als Buchkunst

Ernst Jandls Gedicht entstaubt

Buchkunst macht auch Spaß. Jedenfalls schob das Team Eric Erfurth / Sabine Schmekel ein Jahr nach dem Schwitterschen „doppelmoppel“ Ernst Jandl’s „bibliothek“ nach, in gleicher Aufmachung wie der Vorgänger, ungezählte Seiten im quadratischen Hardcover.

Jandls Gedicht ist ein „Geschichte“ im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Aufeinanderfolge, wie man die Struktur „Bibliothek“ reduktionistisch zerlegen kann, wobei Jandl beim Buchstaben beginnt und – nicht beim Buch – sondern überraschenderweise beim Staubwedel endet, mit dem Sabine Schmekel dann tatsächlich so einiges durcheinander fliegen lässt.

In seinem treffend analysierenden Nachwort findet Erfurth interpretierend reichlich Tiefen. Es ist schon erstaunlich, wohin das Nachdenken über ein so unscheinbares kleines Gedicht führen kann: „das knappe poem verweist auf ein komplexes kulturgeschichtliches faktum: den wandel von der kommunion zur kommunikation. die bibliotheken haben als tempel des wissens diejenigen des glaubens abgelöst. zugleich macht jandl aber deutlich, dass die frage nach dem heil auch nach dem zeitalter der aufklärung offen bleibt.“

Jede gute Dichtung lässt es zu, dass man in ihr interpretatorisch größere Tiefen finden kann, als sie der Dichter im Schaffensprozeß bewußt anlegt. Das liegt einfach daran, dass das gute Gedicht durch seine stimmige Komposition und Struktur Beziehungsgeflechte zuläßt, die interpretationsfähig sind. Ob Jandls „bibliothek“ nicht letzendlich ein Ausflug war in eine humoristische Larmoyanz, was das Schicksal von Büchern angeht oder tatsächlich ein kulturgeschichtliches Statement – wer kann das sagen? Sabine Schmekels poetische, typografische Umsetzung in die Buchkunst enthält beides: Sinn für Humor und Aussparungen für den Blick in die Tiefe und macht es so in jedem Fall zu einem gelungenen Buch, das jedoch ähnlich wie die Bücher in Jandls „bibliothek“ noch seiner Entdeckung harrt. Dieses und manches andere im kleinen Logo-Verlag von Eric Erfurth erschienene, hätte es unbedingt verdient. (by the way: ich habe die Büchlein nur durch Zufall auf der Frankfurter Buchmesse entdeckt – dabei residiert der Verlag nur wenige Kilometer von Klingenberg entfernt).

Ernst Jandl · Simone Schmekel
Bibliothek
Logo
1999 · 20 Seiten
ISBN:
978-3-980308755

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