Unsichtbare Fäden
Zeit und die unterschiedliche Schnelligkeit ihres Vergehens ist ein verlässlich auftauchendes Motiv in Erwin Uhrmanns neuem Lyrikband. Abglanz Rakete Nebel. Wobei er das wunderbar geschickt verbrämt, weil es nicht wirklich vordergründiges Thema ist, sondern entweder einen Rhythmus vorgibt oder eine Melodie unterlegt und Assoziationen weckt.
Das bietet er mit vorgespiegelter Sanftheit an:
So rundet der Tag sich und säubert die Ecken,
spielt er auf verschiedenen Ebenen durch:
Pflaster spiegeln Tritte./Wenn eine Katze läuft,/staubt es ihr nach.
Völlig klar aber gerät sein Zeitverlauf zu einer wahren Hopper - Bildbeschreibung in
Heartland, Null Uhr:
Die Sonne ist unten und Heartland färbt sich rot.
Der Kaffee robust, habe ich je einen stärkeren
getrunken? Nein.Von hier sieht man alles.
Hinunter bis ans Ufer, hinüber bis an die Fabriken,
hinauf bis in die Nebel erkalteter Sterne.
Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Wahrnehmungen liegen Uhrmann ganz besonders, wenn er sie mit seltsam tröstlicher Pointe verbindet, die immer auch widersprüchliche Assoziationen weckt:
Keine Tage mehr,
an denen der Tod
nicht bitter ist,
und etwas läuft falsch,
das Rad durch,
die Felge auf Scherben.Bevor es regnet, ist jeder im Bett.
Erinnerungen sind Teil gegenwärtiger Aktivität, Spuren sind Hinweise auf Zukünftiges, jeder Moment scheint eine Verschmelzung von Zeitebenen zu sein, die sich der Kontrolle entzieht. Der Mensch empfindet sich als Spielball und Kreuzungspunkt, egal, wie er reagiert, kommt er doch nicht von den unsichtbaren Fäden los. Und trotz dieser Ausgangslage ist Erwin Uhrmanns Welt hell in ihrer Finsternis, witzig bricht Erkenntnis durch und manchmal ein sehr tröstliches Lächeln.
Die Illustrationen zu diesem, auch haptisch ansprechend gestalteten Band, sind von Julian Tapprich. Jahrgang 1982, der Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien und Paris und Fotografie an der Universität für angewandte Kunst in Wien studierte, und nun hier als freischaffender Illustrator lebt. Das Flüchtige und Zeitgleiche betonte er in den Arbeiten für diesen Band spannend, indem er sich auch der Bildsprache der Dreißigerjahre bediente und verstörende Elemente einbaute. Das Pferd auf dem Cover bezieht sich auf das hinreißende Gedicht Das Fenster, in dem Erwin Uhrmann die Prägungen eines jungen Mannes anhand eines bestimmten Ortes darstellt. Ein banaler Moment, eine skurrile Verkettung, eine grelle Erkenntnis verbinden sich zu einem Lebensbild.
Erwin Uhrmann, 1978 in Niederösterreich geboren, studierte Kommunikations- und Politikwissenschaft in Wien, arbeitete an zahlreichen Kunstprojekten mit, leitet das Literaturprogramm im Essl Museum, hat bereits mehrere Lyrikbände und Kurzgeschichten veröffentlicht und schreibt derzeit an einem Roman. Die Dichte seiner bisherigen Texte lässt weiterhin Spannendes erwarten.
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