Der Zauber und die Melancholie des Wirklichen
Manchmal werden einem Gedichtbände empfohlen und man merkt nach den ersten Seiten, dass sich zur gnaugend begonnenen Pflicht eine Überraschung nach der anderen gesellt und das Buch Schritt für Schritt zu leben beginnt - es kommt an und hört nicht auf anzukommen, bis es schließlich das Herz getroffen hat und man es zur Seite legt und sich seltsam tief bereichert fühlt.
So ist es mir mit Esther Kinskys Lyrikband „die ungerührte schrift des jahrs“ ergangen, der mir mit dem Wort sensationell empfohlen worden ist und den ich genauso empfinde. Nicht, weil er besonders experimentierfreudig daherkommt, sondern weil da eine unverbrauchte Stimme auf ihre eigene, unverwechselbare Weise schreibt und spricht. „Die Schönheit des Schäbigen“ hat Jörg Plath ihren Romanen attestiert – in ihrer Lyrik ist das noch glanzvoller potenziert – es gibt nur noch Welt.
In fünf Kapitel hat die Dichterin ihr Buch klug gegliedert: Banat, Als kinder, An die Stille gelehnt, Am steinbruch, Dem pirol. In jedem der siebenundvierzig Gedichte des Bandes wird ein ganzes Leben entwickelt und beschrieben, auch wenn diese Leben sich mitunter ähneln,
scheint doch jedes ein ganz eigenes zu sein und sich selbst zu erzählen.
Das erste ist mit „Großer Winter“ überschrieben, „in dem/ die sprache gefror.“ Als Leser fühlt man die Kälte dieses Winters und kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in der Tiefe eine zusätzliche politische Dimension angedeutet werden soll, sozusagen als Kassiber.
Die Dichterin nutzt die Wunder des poetischen Sprechens ohne die Lautstärke zu überdrehen. Egal ob sie einen Mann beschreibt, der ihr Haus richtet: „er nennt/ die dinge beim namen/ sonst nichts“ oder das Phänomen der Tanten: „die tanten/ betten sich zwischen die borstigen/ stängel der sonnenblumen/ halten einander/ tröstend/ am buckel.“ – „Mit Kletten im Haar und juckenden Mückenstichen steigt man dann, irgendwann, wieder heraus, hat das Buch auf den Knien, und die Schwalben, die wirklichen, die bedichteten, kreisen überm Dach, schreiben etwas in die luft, das bleibt, und man weiß wieder: So viel Zaubermacht hat die Sprache, denn es ist ja nur Schrift, schwarz auf weiß, wie die kahlen Zweige im Schnee, wie der Flug der Schwalben unter frostschweren Wolken — ein Wunder.“, so hat es Bettina Hartz in der FAZ umschrieben und dabei auf den Punkt gebracht: Poesie ist dort, wo sich die Räume der Dinge finden.
Ihre Gedichte strahlen in viele Richtungen, von innen heraus, nach innen hinein, es gibt Schönheit und Tiefe, sie ist „in der/ mundart der dinge/ zuhaus. Beobachtungen mit ganz eigenen, ungewöhnlichen Reflexionen: „ich nenne die welt/ wie ich will, mein/ abend- und morgenland und/ schweige dabei.“
Im Kapitel „Als kinder“ hat sie Gedichte gesammelt, die alle einen Blumen- oder einen Pflanzennamen tragen und die Geschichten, die sie unter den Überschriften sammelt, charakterisieren Erfahrungen mit dem Erleben des Mythos der Pflanzen. Vom Klatschmohn heißt es:
„Der Klatschmohn, das grelle/ leisekraut am rand/ aller wege,/flüchtigstes rot.“ Und vom Holunder: „Schlaf nicht, hieß es,/ schlaf nicht/ unterm holunder,/ sonst/ träumst
du den tod. „An dieser blume,/“ meint den Rittersporn, „ mögen sie eines tags/ meinen,/
lernen wir leben.“ – eine leise eindringliche Sprache, die Welt aufgreift. „Der abend fiel, jeder laut/ stand allein/ für sich.“
Die großen Themen geschehen wie das tägliche Atmen – nichts ist fremd „Im schulterblatt der erinnerung/ eines gewichts, das/ zu boden zog.“ Oder: „Der finger lief taub/ an der narbe entlang/ zwischen himmel und erde.“ Nichts ist unzeitgemäß, auch nicht das Thema Heimat: „Du schönes/ heimatland! sei gut/ zu dem, der sich/ verirrt.“
Heimat im Sinn von Verortung und Zuhause sein, eigentlich selbstverständlich für jemand wie sie, die an und in vielen Orten Europas schon gewohnt hat. Von 1990 bis 2004 lebte sie in London, dann in Budapest und Battonya, Ungarn. Seit 2009 wohnt sie in Berlin und immer wieder in Battonya, Ungarn. Es hat einen ganz persönlichen und eigenwilligen Klang, wenn sie schreibt: „Verwachsen/ war alles:/ die stummgestutzten weiden/ mit dem nebel,/ die krähen mit der letzten/ faustvoll winterlicht./ die hand der mutter/ mit dem leisen ruf,/ die stirn des vaters/ mit dem schnee.“ Natürlich ist Sehnsucht dabei. Und natürlich der Tod, ein Kapitel, das sich einschreibt und in dem Esther Kinsky unnachahmlich liest „Die augen/ schließen und wieder/ dort sein,/ wo mich die hand/ des sommers verließ/ der vater starb. …kein/ engel, der gegenwärtig war/ nicht einmal/ ein schmetterling/ auf seiner wimper.“
Das ist mehr als Talent. So wie sie mit Sprache umgeht und die Poesie aufdeckt aus den Fragestellungen der Welt und der menschlichen Existenz, wird sie zu den Großen unserer Literatur gehören.
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