Die Dialektik des Dialekts
Fitzgerald Kusz hat, was den fränkischen Dialekt angeht, ein Alleinstellungsmerkmal. Seine Gedichte finden seit langem als einzige Dialektgedichte Eingang in viele hochrangige deutschsprachige Anthologien – eben weil sie nicht nur einfach(e) Dialektgedichte sind, sondern das gewisse Etwas mehr haben.
Passend zur derzeitigen allerorts formulierten und derzeit hochkritischen Frühlingsfrage lesen wir in Kusz’ jüngstem Gedichtband Zwedschgä:
frühling
weä rufd ausm wald?
weä singd?
weä danzd?
weä schbringd?
weä kummd bald?
wou issern?
wou bleibdern?
waaß dä guggugg
weä des waaß!
Bei Fragen wieweä kummd bald?/ wou issern?/ wou bleibdern? in diesem Gedicht scheint es, als sei es für genau die jetzige Saison geschrieben, wo es immer noch schneit, Anfang April.
schnäi
im schnäi rumkugln
schnäibolln werfm
enn schnäimoo bauä
mid schnäi eireim
schnäi fressn:
halmi däfriän
in windä schbüän
Nie hatte ich so gehässige Terrorwünsche gegen den Wettergott und seine Schneeflocken gehört wie in diesem Winter, in dem man schon seit Ende Oktober im Schnee herumgekugelt ist, schon längst genug Schneebälle geworfen und längst alle zu bauenden Schneemänner gebaut hat; man hat sich auch von Kopf bis Fuß oft genug mit Schnee eingerieben. Und halmi derfruurn* ist man dabei auch schon öfter als genug.
Fitzgerald Kusz’ neuer Band Zwedschgä kommt frisch daher. Die Texte sind unbedingt laut zu lesen, gerade von Lesern, die des (Mittel-) Fränkischen nicht mächtig sind. Dann erschließt sich buchstäblich und wortwörtlich der Sinn. Und selbst eingefleischte Franggn* haben große Freude am Entziffern des Vertrauten. Man spürt, wie sehr Fitzgerald Kusz im Schriftlichen die weichen Konsonanten des Dialektalen auskostet. Zum Lesen eine Freude und zu Hören ein Genuss. Kusz’ Gedichte leben vom Vortrag. Was sich möglicherweise Nichtfranken nicht (sofort) erschließt, würde einem mündlich vorgetragen mit verschmitzt-sonorer Stimme, wie Schuppen von den Augen fallen. Hier eine kleine Kostprobe.
Dennoch bleibt eine brisante Frage zu klären: Was zum Kuckuck sindZwedschgä? – hätte man vor etlichen Jahren mit Alice und Smokie intonieren können. Und alle Pflaumen dieser Welt hätten sich umgedreht und einen angestarrt. „Was soll das denn sein? Zwedschgä?!“ Um es kurz zu machen: Zwedschgä ist urugayisch. Oder, pardon, usbekisch. Ugandisch. Undonesisch, unlesbar, unverständlich. Andere mutmaßen, es handle sich um einen Einheimischendialekt von Ureinwohnern. Und wäre ich nicht mit Sätzen aufgewachsen wie „Etzerdlä bagg ämall deine siem Zwedschgä zamm*“ oder „Dä klaa Zwedschgä*“, ich würde kein Wort verstehen. Man munkelt gar, es handele sich bei Zwedschgä um Früchte. Banales Obst also. Ein Blick auf das Cover von Svetlana Handschuh könnte einen Hinweis geben. Demnach wären Zwedschgä jene säuerlich-süßen Phäakenfrüchte, außen lilablassblau und innen gelbgrün, mit Spitzkern inside, mit dem man sich alsklanner* Zwedschgä die Huusädaschn* vollstopfte, als man bei sonntäglichen siebenstündigen Wanderungen durch die Fränggische* im Abstand von 450 Metern der buckligen Verwandtschaft missmutig hinterdreinstapfte, um nach gefühlten Ewigkeiten endlich in einer Wärdschaffd* einzukehren, wo die ganze Blosn* zweieinhalbstündig enn Koung und enn Kaffeeee* verzehrte, während man sich selbst bei dem Gehogg* zu Tode langweilte.
(…)
wou senn däi zwedschgä
däi zwedschgä woui
in kiehlschrank nei hou
iich möchäd wissen wou däi
zwedschgä hiikummä senn
däi goudn zwedschgä
däi woän su säiß su zuggäsäiß
(…)
Dass „Zwetschken“ keine Pflaumen sind, habe ich schon als Kind deutlich eingebimst bekommen. Pflaumen sind große, rundliche und von Anfang an süße, weiche, geradezu dickliche Früchte mit kleinen Kernen, während Zwetschgen längliches, anfangs säuerliches Steinobst ist, mit einer durchschnittlichen Latenzzeit von etwa 33 Tagen; nach Ablauf dieser Tage schmecken sie aber wirklich richdich goud*. Einmal weich geworden sind sie unschlagbar lecker und süß. Und Zwedschgämennlä* sind am Grissdkindlersmarggd in Nämberch* eine örtliche Spezialität, ein hochdubioses Objekt (Readymade?) aus schwarzen steinharten Objekten. im siebdn himml / aff wolke siem / middi siem zwerch / siem zwedschgä essn, lesen wir bei Kusz.
(Alle in diesem Artikel mit * gekennzeichneten Ausdrücke sind keine Kuszschen Dialektumschriften, sondern gehen auf den ebenfalls aus Franken stammenden Rezensenten zurück).
zwedschgäschnabs
jeedsmall wenni mid
aufgschürfde knäi
hammkummä bin:
„mama, iich hou ä bäis!“
aff di wundn ä boä drobfm
zwedschgäschnabs draff
„ouälou!“
houd des brennd.
„Zwetschgen und Lyrik – wie geht das zusammen? Um in Zeiten wie diesen bei Verstand zu bleiben, muss man schon seine sieben Zwetschgen beisammen haben, sonst kann man seine sieben Zwetschgen packen. Kusz’ Gedichte handeln vom baradies, sie bestehen den stresstest, haben den blues, sind auf der Suche nach der verlorenen Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat. Ganz besonders aber liegt ihm die Form des Haiku am Herzen: im sebdembä undä enn / zwedschgäbamm schdelln / waddn bis zwedschgä reengd“, lesen wir auf dem Umschlag.
Fest steht: Im Dialekt lassen sich Dinge direkter sagen, unverblümter, lakonischer, lapidar und „einfach so“ – und dem ungeachtet viel einfühlsamer als in der Hochsprache, da schon der Tonfall selbst eine gewisse Schwingung im Hörer erzeugt und etwas Augenzwinkerndes hat. So hat jeder Dialekt etwas Vertrautes und Herzöffnendes, und ist es gar der eigene, ist man sofort in seinem Klang dähamm und wird Teil der privatenWelt des Sprechenden, weiß längst, was da „gefühlsmäßig“ intendiert wird; weiß genau, wie sich der Satz, der salopp dahingesagt wird, im Sprechenden anfühlt. Insofern ist Dialektdichtung schon „von Haus aus“ eine gewisser Schmäh zu Eigen, weshalb die Aussage dieser „einfachen“ Gedichte oft wesentlich weitreichender ist. Dialektgedichte, die am allerbesten bei Lesungen zur Geltung kommen, bekommen von Vornherein weit größere Empathie als andere Gedichte. Sie können mit einfachen Worten sehr weit ausholen und über existentielle Dinge wie Liebe, Resignation, Verlust und Tod viel philosophischer sprechen als lange Abhandlungen in Hochsprache. In einem Text wie ohne dich liegen Tragik und Komik sehr nah beieinander, anders gesagt, der Text „haut rein“. So vergnüglich es sich anlässt: ohne diich / binni ä aamälä ohne marmälood (...) ohne diich / binni ä lebäkniidlä ohne subbm (…) ohne diich / binni i käskoung ohne käs (…) ohne diich / binni i ä hemmäd ohne groong (…) ohne diich / bin i ä heinä ohne hirn (...), so traurig stimmt es zugleich. Neben dem einsilbig-auftrumpfenden Witz liegt hier eine sensible Traurigkeit, die in dieser Form des Zugangs etwas speziell Fränkisches ist.
„Damals bei dieser (…) Lesung von Fitzgerald Kusz ist mir zum ersten Mal klargeworden, dass man meine Muttersprache nicht nur zuhause reden, sondern auch schreiben und vortragen konnte. Ja, mehr noch, dass die Sprache so schwarz auf weiß eine merkwürdige, reizvolle Fremdheit ausstrahlte, die beim Lesen und Hören im Nu umschlug in eine herzerwärmende, augenöffnende Vertrautheit. Eine Heimeligkeit, die aber auch unheimlich frech, pfiffig, widerborstig und entlarvend sein konnte. Also eigentlich ja auch wieder das Gegenteil von Heimeligkeit“, lesen wir im Nachwort von Helmut Haberkamm.
Fitzgerald Kusz, 1944 in Nürnberg geboren (Mutter Fränkin, Vater Berliner Opernsänger), aufgewachsen in Forth/Mittelfranken (heute Eckental), war nach seinem Studium der Germanistik und Anglistik in Erlangen als Assistent Teacher in Nuneaton/Warwickshire (im Dreieck Birmingham/Coventry/Leicester) und bis 1982 als Lehrer in Nürnberg tätig. Seitdem arbeitet er, Mitglied im PEN-Club und im VS, als freier Schriftsteller in Nürnberg. Mit seinem Talent, „Sprachkürze und Denkweite“ (Jean Paul) in fränkischer Mundart mit Berliner Witz zu kombinieren, erntete der Lyriker von Beginn an donnernden Applaus. Kusz ist Lyriker und Dramatiker. Die Dichtung ist ihm dabei wichtiger als die dramatischen Werke; gleichwohl hat er über zwanzig Theaterstücke sowie zwölf Gedichtbände im fränkischen Dialekt veröffentlicht, zuletzt Der Vollmond über Nämberch bei ars vivendi. Außerdem wurde er mit acht Literaturpreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem August Graf von Platen-Preis 2011. Kusz lebt in Nürnberg und hat drei Kinder.
Kusz’ Theaterstück Schweig Bub ist mir seit vielen Jahren ein Begriff. Kurz vor meiner eigenen Konfirmation lernte ich dieses Theaterstück kennen, das inzwischen in etliche andere Dialekte übertragen wurde. Es ist nicht nur ein launiges Volksstück, sondern auch ein gesellschaftskritisches; eine fast durchweg heitere Komödie, dabei weiß Gott kein Schenkelklopfer, sondern bei allem auch vielschichtiges Drama, wo einem ab und zu das Lachen im Hals stecken bleibt.
zwedschgä
am zwedschgäbaimlä
im gaddn vo meinä omä
senn jeeds joä ä boä
zwedschgä drooghängd
obbä su houch oom
dassi ned naufkummä bin
däi wou roogfalln sienn
woän alle wuurmi
Kusz’ Dichtungen haben sich noch einen Restbestand aus dem nocnchalanten alltagssprachlichen Parlando aufbewahrt, wie es in den 70er-Jahren zuhauf gedichtet wurde. Sie haben den Drive von Liedermachertexten, sind immer geerdet und leicht zugänglich, sind umgangssprachlich und grohdoo* und trotzdem nicht selten doppelbödig und dialektisch, – „Dialektik des Dialekts“ nennt es Kusz. Sie leben aus ihrer insistierenden Rhythmik, ihren litaneihaften Aufzählungen. Bei dem gekonnt ins Absurde verdrehten Gedicht drehorgel oder den gesellschaftskritischen, (selbst)ironischen Gedichten wie bewältigung, zu viel oder miä & däi, die sehr direkt ihrem Bewusstseinsstrom folgen, meine ich, einen Hauch Ginsberg zu hören. Kusz’ Gedichte stellen immer wieder aufmüpfig und jung die Worte auf den Kopf, arbeiten mit ausgefuchstem Sprachwitz und mitunter subversiver Umkehrung. In einer anderen Lesart sind die Texte plötzlich lakonisch und schlicht (zumindest auf den ersten Blick), besitzen ihren ganz eigenen unnachahmlichen Humor. Aus fast jedem Text spitzt und blitzt ein kleiner frecher Spaß heraus, ohne dass Kusz’ Gedichte insgesamt an pointenfixiertem Witzzwang leiden würden. Schlimmer wäre es, sie würden an Witzverhalt leiden, wie ein wohl nicht unerheblicher Teil zeitgenössischer Dichtung.
Und damit niemand glaubt, Kusz sei ja bloß so etwas wie ein dichtender Kabarettist (oder auch neudeutsch Comedian), muss man sagen, dass Texte wie penelope auch klassische Sujets konterkarieren: (…) wärsd hald aa / bei miä dähamm bliem du wohrsd doch viel zu gscheid / fiä su enn dummä gräich. Bei wem da die Alarmglocken läuten, wo man doch weiß, dass Odysseus niemals freiwillig gen Troja in den dummä gräich ziehen wollte, sondern Irrsinn vortäuschte, auf dass der Kelch an ihm vorüber ginge, der ist genau der dialektalen Dialektik des listenreichen Autors verfallen. Denn aus Sicht der monologisierenden Penelope – ein Hauptmotiv aus James Joyce’ Ulysses – ist es nur allzumenschlich, sich dennoch nach ihrem Odysseus zu sehnen. Überhaupt widmet sich ein Kapitel immer wieder sagenhaften Gestalten wie Penelope oder Ikarus; und sogar Siegfried (einmal als Held, einmal als gleichnamiger Kinderfreund des lyrischen Ich) kommt vor: Ein Gedicht spielt mit dem Lindenblatt-Topos, dessen Titel siechfried, doppeldeutig und raffiniert, dialektal und dialektisch auf das spätere Dahinsiechen des Helden aus der germanischen Mythologie anspielt. Für den Text voll debb dient ein Rocksong als Vorlage, ein anderer Text entstand sehr frei nach w. c. williams, dem amerikanischen Dichter.
Einige der oft sehr kurzen Gedichte im Kapitel kubfwäih sind eher aphorismenartige Lebensweisheiten und Sinnsprüche. Kusz’ Gedichtband wartet daneben auf mit Reflexionen aus der Kindheit und Jugend, Geschichte über die errberrd beim Sammeln von butzlkäih (Fichtenzapfen) im Wald. Beieinander stehen Selbsterkenntnis und Erinnerung: für manchen Geschmack wird womöglich etwas nostalgisch beschrieben,wäi’s fräiä woar*. Jener dumpfen Mischung aus Selbstgenügsamkeit und Selbstverliebtheit begegnet der Text bewältigung mit Versen wie miä wolln blouß unsä rouh / miä hamm immä unsä rouh ghabd / miä solldn immä scho in rouh gloun werrn // miä senn wu wäimä senn / miä woän scho immä su / mia wolln aa immä su saa mit deutlicher Ironie.
Wunderschön sind Worte, alte Ausdrücke wie bäidälä aff alle subbm, budzlkäih, grischbälä, hundsgrübbl, kuddälä, kroochlschdangä uvm., die sich, auch wenn man des Fränkischen nicht mächtig ist, weitgehend aus dem Kontext erschließen. Manche der Gedichte sind wahre Dialektschmankerl – ein bayerisches Wort – und dennoch unterscheiden sich Kusz’Zwedschgä auf angenehme Art von ähnlicher Dialektdichtung darin, dass das Buch nicht als Haupttriebfeder und -intention auf sprachpflegerische, angestrengte Art daherkommt, nach dem Motto, „unser herrlicher Dialekt“ muss erhalten bleiben; wo man sich wohlfeil im nostalgischen Narzissmus des eigenen, selbstverständlich „allerschönsten Dialekts“ sonnt. Kusz ist primär Dichter, kein bauchnabelgepolter Sprachpfleger. Darin ist Dialektdichtung manchmal müßig weil in ihren „Ambitionen“ durchschaubar als gelegentlich verkrampfte Heimatverbundenheit. Einzig der Text dinosaurier hat dahingehend Anklänge, spielt aber gerade in der Schlusszeile däi ganzn ausdrück / und wöddä ‚ibäränandä‘ / woui ‚meileddä‘ nimmä aus meim kubf rausbring: mid miä schderms aus sehr keck und selbstironisch mit dem Phänomen der Sprachfortentwicklung. Auch Goethe begegnete Sprachpflegern mit Ironie, die sich um den Erhalt der Sprache sorgten und jedes neue Fremdwort durch ein herkömmliches deutsches Wort zu ersetzen suchten. Man weiß es: Schon die Römer haben spracherhaltende Versuche unternommen. Geblieben ist allerdings von diesen Versuchen nicht arg viel. Latein starb als lebendige (also gesprochene) Sprache aus und mit ihm auch alle latinischen Dialekte. Allein der italische Dialekt hat sich als Hochsprache etabliert. Überhaupt ist es so, dass alle Bemühungen, die mündliche Fortentwicklung der Sprache aufhalten zu wollen (sprich Neologismen und Amerikanismen und sonstige -Ismen stoppen zu wollen) – die sich gerade heute hochflexibel und rasend schnell weiterentwickeln muss, um alle Bedingungen der modernen Welt in sich „aufzuatmen“: als das vermutlich am schnellsten wandelbare Medium, das buchstäblich in der Luft liegt (neudeutsch on the fly) – in etwa dem Unterfangen gleichkäme, die Alpen in ihrer seit Jahrmillionen gleichmäßigen Fortentwicklung aufhalten zu wollen. Insofern erinnern allzu sehr auf die Schönheit des Dialekts bezogenen Dichtungen in ihrem sprachkonservierenden Ansatz an ein Grüppchen von Kundgebungsteilnehmern, die gegen Erosion, Plattentektonik und Erdbeben demonstrieren.
gegen-haiku
ach däi erbsnzählä
schäi broov zählns ihre silbm
is des greadief?
Das Finale des Bandes bildet eine Sammlung von exakt 90 fränkischen Haiku, wo mit der japanischen Gedichtform sehr frei umgegangen wird. Dies zeigt einmal mehr die Virtuosität des Dichters.
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