Besichtigung der Sackgasse
Mit seiner immoralistisch-zeitkritischen Mixtur aus Frank Wedekind und Rammstein besitzt der Dichter Florian Voß innerhalb der heutigen Lyrik fast schon so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal. Blickt man mal genau auf seine bisherigen lyrischen Publikationen „Das Rauschen am Ende des Farbfilms“, „Schattenbildwerfer“ und jetzt „Datenschatten Datenströme Staub“, entdeckt man in den drei Überschriften ein leitmotivisches nihilistisches Konzept: - jeder Titel setzt eine Metapher für einen Handlungswillen in der Überflüssigkeit, ein baldiges Erreichen der Endlichkeit, für eine von Technik ummantelte Angstblüte - und doch gibt es dann immer noch so etwas wie eine Fortsetzung dahinter, weswegen die Schraube im nächsten Titel stets wieder ein Stück weitergedreht wird. Satirisch, anklagend, zwischen Verbitterung und Groteske verortet Voß die Welt des medial geprägten Kleinbürgers, besichtigt seine Sackgassen vor den Bildschirmen und macht sich über ihn lustig. Ansatzpunkt seiner Provokationen ist die Dekadenz der Neuzeit, die Ermattung und Daseinslethargie innerhalb und außerhalb der TV-Galaxien hinter den sichergebauten Alpen, das, was Nietzsche seinerzeit einmal „die Zeit der platzenden Belanglosigkeiten“ nannte. Man kann darüber streiten, ob der Autor in seiner jüngsten Publikation nicht ein wenig zu überdreht daherkommt, denn der Qualitätsunterschied zwischen den einzelnen Gedichten ist merkwürdig frappant. „Fett gemästete stehen neben halb verhungerten Texten“, diesen Satz kann man seltsamerweise sogar als Kommentar auf der Rückseite des Buches finden. Eigentlich ist der ganze Lyrikband eine Gratwanderung zwischen eindimensionalem Zynismus und Fremdschämen. Zum Teil findet man zwar starke neoexpressionistische Passagen wie im Text „Märchen“, wo in treibenden Rhythmen das mediokre Schönheitsideal sozial-surreal aufs Korn genommen wird: Ach, könnte ich doch hungern / bis die Haut so weiß ist wie die Knochen / Steckt mir Wackersteine in den Bauch / and call me Rotkäppchen / Gut durchblutet sind die Lippen / tief sind meine Nasolabial-Falten / Call me Schneewittchen. Andererseits stößt man aber ärgerlich oft auf unsäglich platte Zeilen wie im Gedicht „Daily Talk“: Lasst uns Kinder abtreiben / und sie bei Oliver Geissen hochhalten / Und Robbie Williams tanzt dazu.
Häufig wird vom Dichter sehr undistanziert gerade jener Zeitgeist beschworen, der eigentlich von ihm kritisiert werden will. Das merkt man beispielsweise an einem sehr lax gehandhabten Name-Dropping mit Gestalten von raschem Verfallsdatum wie Guido Knopp, Louis de Funès oder ebengenanntem Oliver Geissen. Manchmal kann der Spagat aber auch stückweise gelingen, wie in der Ikonisierung der 70er-Jahre-Ulkfigur Ingrid Steeger im selbstironischen Text „Kerosinbrüste“, aber dann wird der ganze pseudo-mythologisierende Aufbau und Charme des Gedichts durch eine überflüssige, noch dazu eingeklammerte, noch dazu als letzte Zeile gesetzte Polterpointe: (Herr Anstaltsleiter, übernehmen Sie!) regelrecht gekillt. Nicht anders im Gedicht „Barke“, wo der Captain des Raumschiffs Enterprise zum Seelensammler wird, und als Fernsehgott den Schöpfergott ersetzt: Die Seele meiner Mutter fährt / in einem goldnen Wikingerschiff / über das Meer des Fernseh-Testbilds / hinein in das weiße Rauschen Gottes und zum Schluß: Nur hinterm dritten Sterne rechts / wartet Captain Jean-Luc Picard / mit einem agnostischen Lächeln auf den Lippen / und sammelt ihre Seele ein. Was soll das? Wie um seinen Weltekel zu unterstreichen, bleibt der Autor hier im zweiten von drei Kapiteln, bei dem es sich um einige Widmungsgedichte an seine Familie handelt, seiner zynischen Linie treu, so daß das Ganze eher verstörend, denn von lyrischer Relevanz rüberkommt: Mein Vater verblüht schneller als / die Tulpen auf seinem Tisch / Sein eigener Grabschmuck ist er / bleich und trocken, heißt es im Gedicht „Tulpen und Aseptikum“ gleich zu Anfang, und man bekommt den peinlichen Eindruck eines trotzigen, über Leichen gehenden Pointenzwangs. Und eigentlich behagt mir auch ein in solchem boulevardesken Ton präsentiertes Privatleben nicht. Ich mag ja nicht einen Therapiebericht lesen, wo ich ersatzweise gezwungen bin, irgendwelche in Sarkasmen sich ergießenden Vater-Mutter-Sohn-Verhältnisse zu reflektieren. Es ist hier viel Schonungsloses zu lesen, aber es ist selten in eine höhere Ebene gebettet, die es lyrisch werden lassen könnte. Dies geschieht am ehesten noch in dem Zyklus „Piloten über Mallorca“, im zweiten Kapitel, wo die düstere und nihilistische Seelenarbeit Voßens in Korrespondenz mit dem Mediterranen eine ironisch-melancholische Spannung erzeugt.
Eine eigene Diskussion schließlich könnte man über das Eingangsgedicht „Verfugtes Meisterstück“ führen. Die „Todesfuge“ von Celan ist kein Gedicht, das man parodieren kann. Ich unterstelle dem Lyriker mal die Idee, kritisch darauf hinweisen zu wollen, daß es mit der Betroffenheit ob des Holocaust nicht mehr weit her ist, daß wir in einer Welt leben, wo zum Beispiel auf dem Holocaust-Denkmal gepicknickt wird, und er aufgrund solcher Fragwürdigkeit stellvertretend die Todesfuge instrumentalisiert hat, um uns einen Spiegel vorzuhalten. Aber bei Sätzen wie: Hellgraue Milch des verhangenen Nachmittags / wir trinken dich und fragen uns: / hat da jemand reingeascht? Das schmeckt doch nicht oder Wir liegen ganz gut hier im Bett / Unsere Hunde lieben das neueste / Futter von Pedigree Pal fürchte ich, der Dichter findet das wirklich witzig, oder originell variiert, oder künstlerisch gelungen. Und der Verlag scheinbar auch, der ausgerechnet diese Zeilen noch auf die Klappe setzt.
Fixpoetry 2012
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben