Kühnheit?
Der Höhepunkt der Konjunktur der hermetischen, abstrakten oder experimentellen Dichtung ist lange überschritten. Literatur, die sich der Kommunikation verweigert, hat sich auf wenige Repräsentanten und sehr kleine Kreise zurückgezogen. Die neuen Vorzeigefiguren der Gegenwartsliteratur heißen Kehlmann oder Grünbein – und eben nicht mehr Mayröcker oder Celan. Die greise Friederike Mayröcker ist dabei fast schon eine Solitärin der „hermetischen“ Dichtung, genauer gesagt einer Dichtung geworden, die sich im Schreiben selbst genug ist. Sie könnte mittlerweile sogar die einzige sein, die sich in ihrem Schriftkosmos noch einigermaßen orientieren kann. Allerdings bleibt zu fragen, ob sie selbst noch einen Schlüssel bereithält, mit dem ihre Texte erschlossen, geschweige denn verstanden werden können. Und auch hier müsste es genauer heißen, dass es auf Schüssel oder auch nur eine Paraerzählung nicht einmal mehr ankommt.
Dass Literatur auch in ihren extremsten Produkten noch gesellschaftlich oder gar kommunikativ sein muss, ist spätestens seit Dada in Abrede gestellt. Hatte hier freilich der fehlende Sinn das Ziel, die Integration von Sprache und Subjekt im gesellschaftlichen Gefüge zu suspendieren, entwickelte sich die literarische Sprache seitdem selbst zu einem sich selbst genügenden Spiel, das auf Erkenntnis oder Kommunikation nicht mehr setzt.
Aber damit nicht genug: Nicht einmal mehr die Sprachmelodie oder -rhythmik als Essenz literarischer Produktion verbleibt, wenn Sprache derart konzentriert oder – im Gegenteil – entkoppelt wird, dass sie alle erkennbaren Referenzen verliert.
An solchen Texten scheitern alle Bemühungen um Erkenntnis oder Sinn. Die Automatismen der sinnproduzierenden Maschine Mensch, die noch dann anläuft, wenn ihre Bemühungen hoffnungslos scheinen, greifen nicht mehr. Die Hilfskonstruktion, aus dem Gefüge der aneinandergereihten Worte Sätze oder auch nur Satzfragmente zu lösen, die als sinntragende Einheiten noch halbwegs funktionieren, verstärkt eigentlich nur noch die Gewissheit, dass Sinnkonstruktion bereits lange aufgegeben worden ist.
Aus solchen Textpartikeln dann so etwas wie den Generalnenner, das Hauptthema von Texten oder Textsammlungen abzuleiten, kann angesichts der dominanten dysfunktionalen Textteile nur fehlgehen. Ob „Vergänglichkeit“ das Generalthema von Mayröckers „études“ ist, wie der Klappentext behauptet, kann man glauben wie belegen oder eben auch nicht. Es gibt dafür auf den Textseiten ebenso viele Belege wie Widersprüche wie neutrale Passagen.
„Kühn“ – Klappentext, die zweite – ist das, was Mayröcker vorlegt, weniger als risikolos. Denn wo keine Kriterien existieren sind, ist eine Bewertung oder auch nur eine Rekonstruktion nicht einmal mehr gewünscht. Mit Kunstcharakter ausgestattet werden die Texte sakrosankt – und es wird sich sicherlich schnell genügend Sachverstand finden, der auch diesen Texten ihre unhinterschreitbare Qualität nachsagt.
Was aber liegt vor einem?
Mayröcker hat in „études“ etwa 190 Seiten mit kurzen Texten zwischen wenigen Zeilen und zwei Seiten Länge versammelt. Die Texte sind datiert, was ihren Tagebuchcharakter verstärkt. Dies scheint auch den Texten selbst entnehmbar zu sein, setzen sie sich doch aus Satzfragmenten zusammen, die – zum Teil ausdrücklich - Notizeigenschaften haben.
Das führt dazu, dass sie nur bedingt thematisch konsistent sind, auch wenn die Textgeneration so etwas wie zufällige Motivknoten herstellt. Aber selbst wenn sie denn, wie etwa der Text, der mit „Volker Braun’s Geburtstag“ überschrieben ist, auf einen Horizont hin zugeschrieben sein könnten, ist dies nur bedingt erkennbar.
Auch strukturierende Merkmale sind zurückgedrängt, auch wenn die Texte – wie „Volker Braun’s Geburtstag“ - mit wiederkehrenden Momenten versehen sind, die Textabschnitte skandieren: „gibt einen hype um ihn, „,Das Mittagsmahl‘“, „DER weisz wie man Prosa macht“. Ihre Funktion erschließt sich freilich nicht.
Dazwischen stehen Wort- und Satzfragmentfolgen, die sich kontinuierlich fortsetzen, ohne dass sie aufeinander aufbauten. Dass hier Text generiert wird, ist offensichtlich, aber ebenso auch, dass er im Grundsatz unendlich ist – das abschließende „usw.“ demonstriert denn auch, dass das Grundprinzip bis dahin lang genug durchexerziert wurde. Wie überhaupt ein „usw.“ arg häufig signalisiert, dass hier fortzuführen ist, was bereits genügend vorgeführt wurde.
Dass sich die Satzfragmente um eine Erinnerung an eine Begegnung mit Volker Braun sammeln, ist dabei nicht zu bestreiten. Allerdings bleiben sie – außer durch den Zeilenfall – unverbunden. Daran ändert auch nicht, dass sich noch ein Fetzen Bachmanns findet; selbst dies fügt dem Text keine erkennbare Dimension hinzu.
Das mag Prinzip sein, wenn denn Abfolgen wie diese Hinweise geben sollen „indem ich liederlich, des Weges, das Kirschen Ding, habe Inseln von Ordnung, rote Seelchen von Mohn usw.“ Aber weder intellektuelle Erkenntnis noch ästhetische Wahrnehmung werden hier hinreichend zufriedengestellt. Die Texte machen es sich und ihren Lesern unbequem, allerdings scheint das der Effekt dessen zu sein, dass es sich ihre Autorin hier in der Textgenerierung zu bequem gemacht hat – was bei allem gebührenden Respekt vor dieser Autorin und ihrem Werk niederzuschreiben ist
Freilich soll das nicht einmal verurteilt, eher beklagt sein, dass es auf die Mühen derer, die lesen, auch nicht mehr ankommt. Leser sind solchen Texten gleichgültig. In ihrer Welt gibt es für sie keinen Platz mehr, was Konsequenz des Texterstellungsprinzips ist, dass sich immer mehr um sich selbst dreht.
Wo alle Mühen ersatzlos gestrichen werden können, ist aber schließlich die Literatur selbst an ihr Ende gekommen. Solche verdichtenden und automatisierenden Verfahren der literarischen Sprache führen zu nichts weniger als zu ihrer leisen aber nachhaltigen Implosion. Sie verschwindet einfach aus der Welt, selbst wenn sie immer noch gedruckt werden wird.
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Kommentare
Ich möchte mit einem Zitat
Ich möchte mit einem Zitat aus dem Band 'blijven&verreizen' (2013) von dem im Juni verstorbenen Niederländischem Dichter Hans Groenewegen reageren auf die Besprechung van Études: "alle, die dieses buch begreifen wollen, müssen es neunmal lesen." (mechthild von magdeburg). "lesen, immerzu lesen." (r.m.rilke) keine lyrik ist hermetisch. die qualifikation kommt von lesern die sich aus angst vor dem fremden, aus zeitmangel oder aus faulheit geschlossen halten
Ich erfahre Études als sehr transparant. Aber was zählt es, ich bin ja nur ein Leser, der sich bezaubern lässt durch diesen wunderlichen Kosmos auf den ich mich eingelassen habe und in dem ich mich herumführen lasse. Wie wunderbar man sich hierin verlieren kann und welche ungeahnten eigenen Welten, Assoziationen sich öffnen, die mich weiterbringen dann nur der Verstand.
Die umherkreisende Mayröcker
Die umherkreisende Mayröcker ist mir lieber, als irgendwelche Buchbesprechler
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