Gen Süden
Tobias Gohlis hat bereits Friedrich Ani den derzeit besten deutschen Krimiautor genannt – und wer wäre ich, ihm zu widersprechen? Auch wenns vielleicht reicht, wenn man ihn für einen ziemlich guten hält. Die beiden ZDF Verfilmungen von Anis Süden-Romanen haben jedenfalls gezeigt, dass das Material, das er liefert, von ziemlicher Qualität ist. Und genau das zeigen auch die neuen, in stetes melancholisches Licht getauchten gut 350 Seiten, die Anis neuen Roman „Süden“ füllen.
Süden, der Titelheld, den es zwischenzeitlich nach Köln verschlagen hatte, kehrt ins heimische München zurück, weil er einen Anruf seines seit seiner Jugend vermissten Vaters erhält, zumindest gibt sich ein Mann für das vermisste Zentrum seiner Existenz aus. Allerdings wird das Gespräch unterbrochen, was zur Rückkehr Südens und zu seinen verstärkten Suchanstrengungen führt – was nichts anderes bedeutet, als dass Süden durch die Stadt rennt, an alle möglichen Plätze, um dort nachzufragen und Ausschau zu halten.
Die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen sieht er zwar schnell ein, gibt sie aber nicht auf. Statt dessen übernimmt er eine Stelle als Ermittler in einer privaten Detektei – und soll für seine Firma einen vermissten Wirt suchen. Der Mann ist vor einigen Jahren einfach verschwunden, nachdem er die Lust an dem Restaurant verloren hatte, die er zuvor mit viel Mühe aufgebaut hat. Seine Frau will ihn nicht verloren geben. Und so begibt sich Süden auf die Suche.
Eine Suche, die ihn schließlich nach Sylt führt, und die sogar – mit knapper Not, kann man sagen, erfolgreich ist. Wie er schließlich auch, fast nebenbei, das Rätsel seines Vaters löst.
Auf den Erfolg aber kommt es in Anis Roman nicht an, sondern auf den Weg. Ani schickt seinen Helden in Lokale und in Begegnungen, in denen vor allem eines geschieht: Es wird getrunken. Jeder, dem er am vergangenen Wochenende begegnet sei, habe heroisch getrunken, berichtet Süden nach dem ersten Recherchewochenende seiner Chefin, und erntet dafür einen kritischen Blick. Denn dass er selbst keine geringere Heldenhaftigkeit an den Tag gelegt hat, ist ihm wohl deutlich anzusehen.
Anis Held ist, was das angeht, sowieso vorbelastet: Er phantasiert die Stimme seines alten Freundes und Kollegen, dessen Selbstmord er nicht hat verhindern können. Er ist mittlerweile – ein Mann in den besten Jahren – ein wenig aus dem Leim gelaufen. Mundfaul und unzugänglich war er immer schon. Hinzu kommt die fatale Neigung zum Alkohol, der auch anscheinend jeder, der ihm über den Weg läuft, gleichfalls nachzuhängen scheint. Die Heroik des absinkenden Helden, dessen Melancholie sich in Schweigsamkeit und Trinklust wiederfindet, ist unübersichtlich. Man wird ihn weder anschaun, noch riechen wollen.
Muss man ja auch nicht, zumal Südens Fähigkeiten sein melancholisches Profil vorauszusetzen scheinen. Wenn er auf mögliche Mitwisser oder Zeugen trifft (was meist in Gaststätten geschieht), setzt er sich zu ihnen und trinkt. Stunde um Stunde. Bis sie dann von selbst zu sprechen anfangen.
Wenn er auf die hinterbliebene Gattin trifft, dann wartet er solange, bis sie ihm nicht die alten Lügen, sondern eine neue Wahrheit erzählt. Denn, so Südens Credo, niemand verschwindet ohne Grund und ohne Anlass. Und so ist es auch in diesem Fall. Das kann man sich so denken und das muss man sich so denken, denn ansonsten wäre es einigermaßen sinnlos, einen Süden auf die Suche nach einem Vermissten zu schicken.
Bemerkenswert ist, wie Ani seinen Süden führt. Eine ganze Reihe von Krimiautoren neigen dazu zu psychologisieren. Das geht in den meisten Fällen nicht gut aus, weil die Nähe zur Küchenpsychologie (schlechte Kindheit = verrohter Erwachsener) allzu groß ist. Psychoanalytische Ansätze bleiben meist bei einem vulgarisierten Freud stehen, und dreschen dabei meist ein Schema nach dem anderen. Psychische Binnensichten bleiben zumeist bei Klischees stecken, wie sie gern in neueren „Tatort“-Folgen vorgeführt werden: misshandelte Kinde, geschlagene Frauen, gewaltbereite Männer, aber eben auch die entsetzten Ermittler werden durch die Szenerien geschickt und sollen für Unterhaltung und Aufklärung sorgen.
Anders Ani. Zwar entspricht Anis Held Süden dem Klischee des Antihelden, der seit den siebziger Jahren einen Gutteil der Protagonisten ausmacht. Der Helfer, der sich selbst nicht zu helfen weiß.
Die Abgründe der Figuren, die Ani vorführt, sind präzise, empathisch, aber ohne Sentiment gezeichnet. Nicht Rührseligkeit oder Mitleid sind das Ziel, sondern die Grundierung des Textes mit einem nachdenklichen Grundton, der allem, was geschieht, vor allem die Geschwindigkeit nimmt. Slow acting, könnte man sagen, wo doch die Beschleunigung sonst doch auch den Krimi so massiv mitgerissen hat. Was Ani mit seinem Helden und seinen Geschichten macht, ist dabei stark aufgeladen, mit einer Spannung versehen, die nicht aus der Frage nach dem, was geschehen ist, gespeist wird, sondern von der Aufmerksamkeit darauf, was gerade geschieht.
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