Mitten am Rand
In seinem neuen Roman arbeitet Hahn an einem vertrackten wie simplen Problem: Zentren mögen Zentren sein, definiert werden sie durch den Rand. Das gilt topologisch – Deterritorialisierung, Knoten, … –, das gilt aber auch für das Individuum. Dieses Problem beginnt mit dem deutlich als exemplarisch markierten Text („Wohnort: Wort”) sogleich, worin man einen Künstler namens Gregor kennen lernt, der in den Augen einer fürsorglichen, wenn auch nicht völlig uneigennützigen Fernsehredakteurin einer Förderung bedarf.
Während sein Leben zuvor eine Expedition war, worin dem Alltäglichen vorläufiger Sinn abgerungen wurde, aber Bedeutung und Bedeutsamkeit gemieden wurden, während er also zuvor im Pinselstrich das „Anklopfen an das Unsichtbare” vernahm, wird ihm in der Folge nicht allein der Erfolg zur Last, seine Methode erdrückt ihn. Was zuvor Zufall war, oder Tick (und „völlig harmlos”), das wird nun zu Tode interpretiert und gewürdigt, womit Gregor immer schon am Ende oder im Zentrum ist, wo er für sich noch exponiert und exzentrisch zu schaffen hätte. Der Kunstbetrieb holt ihn also ein, und zwar – wie einen Fisch… Sind seine Heuristiken zunächst scharf und witzig (etwa eine sehr schöne Überlegung zum Alter seines Gegenübers), ist sein Leben spielerisch und er voller Lust, Rätsel vor sich zu haben und auch sich eines zu sein, so rechnet ihn nun die Welt aus, der Flirt mit ihr in Gestalt der Psychotherapeutin Heike ist ein abgekartetes Spiel: „Ich wollt für meine Liebste immer schon unberechenbar sein”, so sagt er zu ihr, die „gespielt überrascht” ihre diskursive Übermacht doch kaum verbirgt: „Na dann komm, du mein Rätsel.” So ist er zuletzt „neonaiv”; alles wird „kontrolliert bis müde.” Der Leser verfolgt einen Aufstieg, der zu einem Abstieg wird. Aus dem vielleicht nicht genialen, aber eigenwilligen Gregor droht ein Autoplagiat zu werden. Dies verfolgt Hahn mit Akribie und zwar mit Einfühlung, doch zugleich der Distanz, die sich schon dadurch ergibt, daß der Autor exzentrisch blieb und bleibt, also nicht in jene tödliche Mitte rückt. Das Ende des Romans wird nicht verraten – in gewisser Weise verrät es auch er selbst nicht, weil die Figur nicht verraten wird, um die sich gegen ihren Willen alles dreht.
Hahn ist eine der wichtigsten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur, auch Mitten am Rand ist wieder Beleg dafür; wobei man sich nach diesem Buch als Rezensent fragen müßte, ob Hahn wirklich zu wünschen ist, daß noch mehr Leser eben dies herausfinden…
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