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Kritik

Spaziergang am Strand der Kybernetik

Einmal zu oft „Gefällt mir“ geklickt? Hans-Christian Dany warnt vor den Konsequenzen positiver Rückkoppelung.
Hamburg

Hans-Christian Dany (Jahrgang 1966) kennt seine Science-Fiction-Klassiker. Angefangen bei Stanislaw Lem bis hin zu William Gibsons Neuromancer-Trilogie. Und dann kamen die achtziger Jahre – ein veritabler Schock. „Wie sich die Welt da draußen nun zu organisieren begann, bewegte sich so eng entlang den literarischen Vorhersagen, die sich gerade noch so überdreht gelesen hatten, dass ich es zuerst nicht glauben konnte."

Dieser im wahrsten Sinne des Wortes phantastischen Vermischung von Realität und Fiktion, mit der er an der Schwelle zum Erwachsenwerden konfrontiert wurde, sind die poetisch-assoziativen Strecken seines neuen Essays „Morgen werde ich Idiot“ zu verdanken.

Anstatt seine LeserInnen mit Faktenwissen zu bombardieren wie sein Netzkritiker-Kollege Morozov, scheut Danys intuitive Gedankenreise das allzu Konkrete. Begriffe wie „Twitter“, „Facebook“ oder „Google Glass“ tauchen bei ihm gar nicht erst auf. Trotzdem schwingt die Übertragbarkeit seiner alptraumhaften Visionen auf unsere heute selbstverständlich genutzten Technologien in jedem Satz mit. „Es kommt darauf an, dass möglichst viele Menschen Informationen senden und empfangen. Zeitnah sollen sich alle über ihr Handeln, ihre Wünsche oder ihr Unbehagen mitteilen.“ Und plötzlich lösen harmlose Aussagen wie diese ein leises Unbehagen aus, ein Schaudern angesichts des Irrsinns der realen Welt.

Im fiebrigen Halbschlaf entwirft der Hamburger Künstler „Tim&Struppi-farbene Szenarien“; bei einem imaginären Strandspaziergang entdeckt er schließlich die Kybernetik, „ein am falschen Verständnis aufgelaufenes Schiff“.

Prompt erwacht Dany aus seinen Fieberträumen und fasst in nüchternerem Ton die Ideengeschichte der Kybernetik zusammen: Ursprünglich zur militärischen Anwendung bestimmt, führte Norbert Wiener 1947 den Begriff „Kybernetik“ (zu Deutsch etwa „Steuerungslehre“) ein. Dank der interdisziplinären Macy-Konferenzen, die zwischen 1946 und 1953 in den USA stattfanden, beflügelte die Idee der Selbstregulation von Maschinen und Organismen nicht nur die Naturwissenschaften, sondern auch Sozialwissenschaftler und Psychologen. Diese denken das Modell weiter und übertragen es auf die Wirtschaft: ein neuer Managertyp ist geboren, der, anstatt repressiv zu steuern, seine Autorität unsichtbar ausspielt. Der Biologe und Physiker Heinz von Foerster möchte hierarchische Unternehmensstrukturen gleich ganz auflösen, indem er die Ziele des Unternehmens prompt zu denen  seiner Angestellten erklärt. Rückkoppelung ist dabei das A und O, um das System am Laufen zu halten. Das „Feedback“, das heute selbstverständlich sämtliche Sphären unseres Zusammenlebens bestimmt – angefangen bei Kindergarten-Elternabenden bis hin zu Ebay-Verkaufsabwicklungen –  verfolgte ursprünglich also kriegerische Ziele und wurde wenig später von neoliberalen Denkern übernommen. (Diese leicht schaurige Schlussfolgerung überlässt Dany seinen LeserInnen übrigens selbst, wie so ziemlich jede andere mentale Übertragungsleistung auch.)

Pate für die Entwicklung hin zur Kontroll- und Transparenzgesellschaft stand Dany das Denkmodell des „Panopticon“ – John Benthams Idee eines runden Gefängnisbaus, in dem alle Insassen durch einen einzelnen, im Schatten stehenden Überwacher kontrolliert werden. Die Häftlinge können sich relativ frei bewegen, fühlen sich jedoch permanent – selbst wenn der zentrale Wachposten unbesetzt bleibt – beobachtet und verhalten sich deshalb automatisch regelkonform. „Durch die technologische Formatierung in panoptischen Blickgeweben wird nun jeder zum Beobachter der anderen und ein von ihnen Beobachteter.“ Erinnert das nicht irgendwie an die Allmachtsversprechen von „Google Glass“? Ebenso sollten sich alle, die auf Facebook, Twitter & Co. jeden Beitrag liken, der da so gepostet wird, Folgendes auf der Zunge zergehen lassen: „Jeder Punkt kommuniziert laufend mit der Steuerung, damit die Kontrolle der Energien optimaler organisiert werden kann.“ Dany schlägt diese Brücke hin zu konkreten Anwendungen nicht; doch dass „Teilhabe“ eine Illusion ist, daran lässt er keinen Zweifel. Die Organisatoren sind ja nicht verschwunden, nur weil sie im Schatten bzw. im Gegenlicht stehen. Letztendlich, so Dany, dient das Gleichgewicht der Maschine, die wir mit unseren Likes, Fünf-Sterne-Bewertungen, Suchanfragen und Self-Tracking Tools am Laufen halten, den Interessen des Kapitals. Nüchtern zusammengefasst: „Der Inhalt der Black Box spielt keine Rolle für den Ablauf, ein stabiles Verhältnis von Eingabe und Ausgabe ist ausreichend.“

Bleibt die Frage: Wie lässt sich dieses Input-Output-System destabilisieren?

Zunächst einmal lässt Danys Argumentation kaum Raum für Hoffnung: Widerstand sei kontraproduktiv in einer Gesellschaft, in der auch Abweichungen geduldet werden, solange sie zur Totalerfassung beitragen. Schließlich werden auch oppositionelle Bewegungen wie „Occupy!“ sofort in den Informationsfluss hineingesogen und zur Selbstregulation des Homöostasen herangezogen.

Dann jedoch zeichnet er so etwas wie einen Lichtstreif an den Horizont: die „Kraft des Rauschens“. Diese Idee lehnt sich an Donna Haraways Konzept einer widerständigen Cyborg an, die sich der herrschenden Kommunikation verweigert. Wie genau dies aussehen soll, bleibt allerdings bei beiden vage. Dany schlägt vor, zum „Idioten“ zu werden – womit sich endlich auch der Titel des Essays erklärt. „Idiot“ bedeutet ursprünglich „Privatmann“. Ob man den verspielten Zyniker jedoch beim Wort nehmen und sich fortan aus jedem öffentlichen Diskurs heraushalten sollte, um nur ja keine Informationsspuren zu hinterlassen, bleibt fraglich. Man könnte natürlich damit beginnen, sein Smartphone aus dem Fenster zu werfen, das Facebook-Profil zu löschen und Google für immer den Rücken zu kehren. Nur macht man sich mit derartigen Verweigerungsstrategien wahrscheinlich gerade erst recht auffällig. Zu diesem Paradox bietet Dany leider keine Alternative.

Hans-Christian Dany
Morgen werde ich Idiot
Kybernetik und Kontrollgesellschaft
Originalveröffentlichung
Edition Nautilus
2013 · 128 Seiten · 12,00 Euro
ISBN:
978-3-89401-784-2

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