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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Expressive Bilder

Schattenhafte Körper und eine neblige Atmosphäre. Hans Hillmann schuf 1982 ein düsteres Meisterwerk der graphic novels
Hamburg

Düsterer geht es kaum: „Babe und Sue gingen gemeinsam davon”, heißt es. Nach einer Kneipenschlägerei verschwanden sie „komplett von der Bildfläche”, ein Liebespaar, sie aus reichem Haus, er aus dem Verbrechermilieu. Aber die Bilder dazu zeigen nicht eine fröhliche Landschaft, ein buntes Auto, das mit einem glücklichen Pärchen am Horizont verschwindet  Zu sehen ist eine Häuserlandschaft, eine dunkle Treppe, die aus dem Nichts ins Nichts zu führen scheint, und eine Ansicht, die an den Maler Edward Hopper erinnert: Bett- und Tischkante, zwei leere Sessel, ein Koffer und ein Fenster, durch das die Sonne scheint. Aber selbst das Licht ist nicht strahlend, nicht gleißend. Es scheint noch mehr Trübheit und Trübsinn ins Zimmer zu gießen.

Auch die Geschichte selbst ist nicht besonders aufmunternd: Sue, aus der reichen und prominenten New Yorker Familie der Hambletons, hat „für Ganoven mehr übrig als für Bankiers, und Hymie den Nieter zog sie dem ehrenwerten Cecil Windown vor, der sie heiraten wollte”. Nach einem misslungenen Waffendeal beerdigt Sue ihn, arbeitet danach in der Bar von Vassos und lernt dort den Zweieinhalbzentnermann Babe McCloor kennen: „Babe mochte Sue, Vassos mochte Sue. Sue mochte Babe. Das wiederum gefiel Vassos nicht. Die Eifersucht des Griechen beeinträchtigte seine Urteilskraft. Als Babe eines Abends hereinkommen wollte, machte Vassos nicht auf. Babe kam trotzdem rein...” Und dann waren sie verschwunden.

In San Francisco erhält fast ein Jahr später der Ich-Erzähler, ein „Continental Op”, ein Privatdetektiv, ein Telegramm von seinem New Yorker Chef, dass sich Sue jetzt bei ihrem Vater gemeldet habe: Sie wolle zurückkommen, er möge ihr Geld schicken. Als der Detektiv zur angegebenen Adresse geht, stellt er fest, dass die Blondine gar nicht Sue ist, sondern Peggy. Ihr Freund Joe erzählt nun eine etwas undurchsichtige Geschichte, der Detektiv findet Sue trotzdem, aber da ist sie schon tot, vergiftet. Fliegenpapier liegt zwischen den Seiten eines Buches in ihrem Zimmer: „Der Graf von Monte Christo”. Aus Fliegenpapier konnte man durch Aufweichen damals ein wirksames Arsen herstellen – so stand es auch in diesem Klassiker von Alexandre Dumas, wie der Detektiv herausfindet. Und Joe bekommt eine Kugel in den Kopf. Aber wer hat Sue vergiftet und warum?

„Fliegenpapier” ist eine frühe Geschichte von Dashiell Hammett (von 1929), der das Detektivgenre grundlegend erneuert hat. Er machte die Großstädte zu einem Dschungel, in dem die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, selbst der Detektiv kein strahlender Held mehr ist. Hammett hat das Hardboiled-Genre erfunden, in dem eigene moralische Gesetze gelten.

Hans Hillmann hat 1982 aus dieser lakonischen Geschichte ein düsteres Meisterwerk von graphic novel geschaffen, bevor es diesen Begriff überhaupt gab, man kannte nur „Comics”. Aber ein Comic ist Hillmanns großformatiges Buch überhaupt nicht: Es ist ein Roman, bestehend aus expressiven und expressionistischen Bildern, destilliert und weiterentwickelt aus einer Kurzgeschichte, die im Text unter den Bildern eher angedeutet als ausgeführt wird (Es gibt keine Sprechblasen, wie im „normalen” Comic – auch hier ist Hillmann ein Vorläufer der heutigen graphic-novel-Kunst.)

Und die Bilder überwältigen: eines pro Seite, manchmal sogar über zwei Seiten, in schwarz-grau-weißen, verschwimmenden, nebligwolkigen aquarellierten Bleistiftzeichnungen, die die Gegenstände aufzulösen, die vielen Details in sich aufzusaugen drohen. Und sich dann doch wieder auf wenige Einzelheiten konzentrieren und den Hintergrund einfach weglassen. Die Gestalten sind oft massige, schattenhafte Körper ohne ausgeprägte Gesichter, die meist eher statische Handlung explodiert manchmal in mehrseitigen Gewaltszenen. Die Perspektive ist oft angeschnitten, manchmal extrem untersichtig oder schräg. Bis sich, nach 250 Seiten, im Nebel der Stadt alles wieder im Nichts von Melancholie und Einsamkeit auflöst. Sehr viel klarer ist der Fall auch nach seiner „Auflösung” nicht.

Hans Hillmann war weltweit berühmt für seine über 150 überdimensionalen Filmplakate, mit denen er in den Sechziger Jahren u.a. den film noir und Akira Kurosawa begleitet hat. Lange Jahre war er Professor an der Kunsthochschule in Kassel tätig; ja, Hillmann schuf mit seinen über 150 Plakaten vor allem in den 1960ern eigenständige Kunstwerke.

Zwanzig Jahre nach der Erstausgabe von „Fliegenpapier” erschien noch einmal in einer broschürten Ausgabe, die schnell vergriffen war. Jetzt, wo „graphic novel” sich zu einem eigenen Genre gemausert hat, wurde es an der Zeit, dass dieser Klassiker wieder neu aufgelegt wird, fest gebunden und zum Spottpreis von knapp 30 Euro.

 

 

Hans Hillmann
Fliegenpapier
nach Dashiell Hammett
nach Dashiell Hammett, Zeichnung: Hans Hillmann
avant
2015 · 256 Seiten · 29,95 Euro
ISBN:
978-3-945034-04-0

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