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Kritik

Auch eine Lyrik vom Jetzt

Sonette und mehr von Harry Weghenkel

Edition Muschelkalk nennt sich eine Reihe der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V., die im Weimarer Wartburg Verlag erscheint und in der immer wieder beachtenswerte Paperbacks erscheinen. Daniela Danz bspw. hat hier mit ihrem wunderbaren Band „Serimunt“ debütiert. Im Hintergrund wirken uneigennützig und geburtshelferisch gestandene Literaten wie Wulf Kirsten und vor allem der zumeist als Herausgeber auftretende Kai Agthe, der auch zu dem vorliegenden Band „Nachrichten vom Taubenacker“ von Harry Weghenkel das Nachwort geschrieben hat.

Die genannten beiden waren es auch, die den Gymnasiallehrer in Ruhla (und als solcher früher Mentor der Daniela Danz) und gitarrenklampfenden Reimer Harry Weghenkel zu dieser Publikation drängelten, denn trotz (und vielleicht wegen) seiner menschlichen Reife (Weghenkel ist Jahrgang 1958) hatte er in dreißig Jahren Dichterei keinen einzigen Gedichtband vorgelegt und nur wenige Texte kannte man aus der (übrigens sehr lesenswerten) Thüringer Literaturzeitschrift Palmbaum. Im Sommer 2008 nun versammelte Kai Agthe Weghenkels Gedichte in einer ersten Auswahl und das Buch ist ganz leise zu einem Liebling auf meinem Schreibtisch geworden, weil man darin lesen kann, wenn man von allem anderen zuviel hat, von zuviel Verstümmelung und zuviel Verzerrtem, zuviel Zerhacktem, zuviel Gebasteltem und bewusst vom Verständnis weg Konstruiertem. Dann kann man immer noch Weghenkels Nachrichten vom Taubenacker lesen. Was dort konstruiert ist, soll zu einer Form hin und nicht von ihr weg. Was dort gebastelt ist, soll funktionieren als Sonett oder Ode, als Terzine oder Elegie, als Ghasel oder Stanze – Harry Weghenkel ist ein Meister der verschiedensten klassischen Gedichtformate und allein schon der Variantenreichtum seiner Sonette scheint mir in Lyrikbänden der Gegenwartslyrik ohne Beispiel (ob in Alexandrinern gedichtet, als italienische oder englische Spielart, selbst im hierzulande völlig ungebräuchlichen Haufenreim legt er eins vor). „Mit den Gedichten des Lyrikers [Weghenkel] könnte man ein Seminar zu allen relevanten Gedicht- und Strophenformen aus zweihundert Jahren füllen.“, schreibt Agthe.

Dennoch sind sie weit mehr als absichtslose Fingerübungen eines spleenigen Deutschlehrers. Die Texte haben Witz, Geist, unverbrauchte Luft, eine hohe Musikalität. Die Form ist nur ein Rahmen - was sich im Gedicht abspielt ist gekoppelt an die handwerkliche Virtuosität und den inhaltlichen Willen dessen, der füllt. Und bei Weghenkel ist es ein Schaukeln zwischen Tiefe, Ernsthaftigkeit und ironisch gefärbter Zitierlaune, in den besten Texten so lustvoll gedichtet und trotzdem souverän, daß es eine helle Freude ist. Kein must, kein no go – reife Individualität jenseits des Mainstreams.

Janis Joplin Straße

Als ich dann wieder Southern Comfort trank,
Da lebte ich den großen Ausverkauf.
Ich war an Leib und Seele wunderkrank
Und hörte meine Stimme: Alter, sauf!

Billige Schauer kamen über mich,
Den sie gefesselt hielten an der Bar
Beliebigkeit mit ihrer ganzen Macht:
Was morgen wird ist nur, was gestern war.

Nathan, too much, lässt blinken seinen Ring
In der Verwesung Fabelewigkeit.
Die Feen & die Kroaten kommen rasch.
Es blühn die Sonnenblumen ohne dich.

Ich speise Muscheln hier in meiner Not.
Und vierzehn Stiche kriegen mich nicht tot.

Harry Weghenkels Texte gehören zum Besten, was man dem Lyriknarren der Gegenwart kredenzen kann. Darin ist große Kunstfertigkeit von unaufhaltsamer Sprachliebe angetrieben und lässt Gedichte wachsen, die verwundern und überraschen damit, daß klassische Formen noch immer taugen das Heute poetisch in neue und nächste Zeiten zu transportieren, also zu einer Lyrik vom Jetzt. „Ich befrage den Tag.“, sagt Weghenkel, „was er mir an Symbolik anbietet, wird oft Gedicht.“ Was uns diese erste Auswahl hier bietet, ist ein Gedicht.

Harry Weghenkel
Nachrichten vom Taubenacker
Wartburg
2008 · 80 Seiten · 11,00 Euro
ISBN:
978-3-861603276

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