Im Dilemma
Die Konjunktur des Audiobuchs dauert jetzt schon an die zwei Jahrzehnte und reißt nicht ab. Aus gutem Grund, eröffnet das Audiobuchs doch mehr Leuten die Möglichkeit Literatur wahrzunehmen und macht dies auch in anderen Situationen möglich als sonst üblich. Literatur wird eben nicht mehr nur gelesen, sondern auch – wieder, muss man sagen – gehört. Im Unterschied zum mittelalterlichen Hören oder zur Märchenerzählung ist das Audiobuch allerdings ein höchst privates Vergnügen, am ehesten noch vergleichbar mit dem Hörspiel, das in den 1950er Jahren seine große Zeit in Deutschland hatte.
Anne Bennent, Otto Lechner und Peter Rosmanith haben sich mit Ilse Aichingers „Die größere Hoffnung“ den wohl wichtigsten frühen Text der österreichischen Autorin vorgenommen (wenngleich wohl in der Fassung von 1960), um ihn in einer etwa mehr als 50 minütigen inszenierten Lesung vorzutragen. Unterlegt wird der von Anne Bennent gelesene Text mit rhythmischen Toncollagen, die mehr als Verständnisleitlinien, denn als musikalische Untermalung dienen. Das erinnert nicht zuletzt an die Hörspiel-Inszenierungen der 1950er Jahr, in denen die Musik die Aufgabe hatte, wesentliche Teile der Dramatisierung zu liefern.
Um die dräuende Gefahr der Gegenwart, die nicht identifizierbar, aber unüberhörbar da ist, vorzustellen, hatten nicht nur die sprechenden Stimmen in einen zurückgenommenen, verängstigten Tonfall einzunehmen. Ilse Aichingers „Knöpfe“-Inszenierung aus den 1950er Jahren zeigt dies nicht anders als Günter Eichs Erfolgshörspiel „Träume“ oder das etwas spätere „Der gute Gott von Manhattan“ von Ingeborg Bachmann. Auch die Musik verstärkte die Anmutung von Unsicherheit und fehlender Geborgenheit, die dem Hörspiel in diesem Jahrzehnt nachgesagt wird und die als Hinweis auf die tiefen Verunsicherungen gerade auch der 1950er Jahre gelten kann.
Das gesellschaftliche Leben heute ist kaum sicherer geworden – mehr noch, gerade der Verunsicherungsgrad scheint weiter gestiegen zu sein. Zumindest werden der Aufstieg populistischer Gruppierungen und der ihrer Simplifizierungsversprechen als Ausdruck einer solchen existenziellen Verunsicherung verstanden.
Deshalb mag es nahe liegen aus Inszenierungsverfahren der 1950er Jahre zurückzugreifen. Statt am Eisernen Vorgang entlang also das Duell zwischen starken Männern, denen es egal zu sein scheint, wenn sie die Welt in Schutt und Asche legen. Die beiden Männer mögen austauschbar sein, aber dass die Zeiten unruhig und die Reaktion darauf von Verunsicherung geprägt sind, wird man akzeptieren können.
Gerade auch, dass ein Text wie Aichingers Roman über die Situation eines jüdischen Kindes im Wien in der Kriegszeit damit neue Aktualität erzählt, wird man hinnehmen. Aber trotzdem bleiben Zweifel. Gerade weil der Text nicht nur historisch verankert ist und zugleich übertragbar, schreiben in sich in seine Inszenierung Grenzen ein.
Denn der Umstand, dass die Lösung der 1950er Jahre in der musikalischen Seiteninszenierung liegt, sollte für die Gegenwart misstrauisch machen. Soll heißen, die inszenierte Lesung gerät unter der Hand und trotz des Themas in den - Kitschverdacht.
Kein Zweifel, der ernsthafte Vortrag Bennents übertreibt nicht und überschreitet die Grenzen des guten Vorlesegeschmacks nicht. Auch die musikalischen Anteile sind sehr zurückgenommen, eben mehr skandierend als untermalend eingesetzt. Alles andere hätte auch überrascht.
Im Ensemble wird dennoch der untaugliche Versuch daraus, die extreme Erfahrung, die aus Aichingers Text spricht, nachvollziehbar und eingängig zu machen. Das schließt zweifelsohne an eine Tendenz in der öffentlichen Repräsentation des Holocausts an. Aber gerade darin besteht das Problem.
Denn dieser Ansatz ist zweifelhaft, wie ja schon der Garten des Exils des Jüdische Museums Berlin mit seinen schiefen Böden, die die Orientierung und das Gleichgewicht stören sollen, ein höchst untauglicher Versuch ist, existenzielle Verunsicherung sinnlich erfahrbar zu machen. Untauglich deshalb, weil solcher Annäherungsversuche der extremen Erfahrung Holocaust wenigstens ansatzweise die Spitze nehmen.
Ähnliches ist über die Inszenierung zu sagen, wie sie von Bennent, Lechner und Rosmanith vorgelegt wird, wobei sie sich in einem wohl kaum lösbaren Dilemma befinden. Sie können nämlich ihr Ziel nur im Klischee, nämlich im Klischee der vorgeblich angemessenen Inszenierung erreichen. Dabei nehmen sie dem literarischen Text seine Schärfe, um ihn überhaupt erst konsumierbar zu machen (wozu es allerdings auch keine Alternativen geben kann). Dazu bedarf es einer Stillage und einer Konvention – und die besteht eben darin, dass die Stimmlage bedeckt, wenn nicht betreten, und die musikalische Inszenierung zurückhaltend irritierend, wenn nicht beliebig als Klangmuster positioniert wird.
Der Text, oder das, was von ihm hörbar wird, wird nicht zum erschütternden oder motivierenden Leseereignis, sondern zum Baustein einer Weltanschauung, in der auch das Böse oder wenigstens das gesellschaftliche Extrem zum Gegenstand ästhetischer Wahrnehmung absinkt. Das hat Theodor W. Adorno in seiner ersten Stellungnahme zur Kunst zum Holocaust bereits vehement abgelehnt. Hintergrund war, dass er es nicht hinnehmen wollte, dass die Kunst den Ernst des extremen Ereignisses nivellieren sollte.
Er ist zwar bei dieser Position nicht geblieben und hat eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Holocaust schließlich zulassen wollen, nicht zuletzt weil er nicht verhindern konnte, was sich Künstler eh herausnehmen. Das Problem hat er freilich zutreffend gesehen. Und diese CD bestätigt dies, nämlich dass der angemessene künstlerische Umgang unter der Hand routiniert wird. Und damit das Extrem kappt. Das aber ist letztlich nicht hinzunehmen, auch wenn die Alternativen fehlen mögen.
Dabei ändert es nichts daran, ob einem die Lesung und die Inszenierung gefallen, die Benennt, Lechner und Rosmanith hier vorlegen. Die CD ist anhörbar, ohne dass man sich dafür schämen müsste. Sie ist dennoch nicht akzeptabel.
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