„Schreiben, das war für mich etwas”
Ingeborg Bachmann – früh zum Star in der Literatur avanciert, aber auf eine Weise und in einer Gesellschaft, daß sie fast opponieren mußte. Die Texte, die hierüber deutlich Zeugnis ablegen, über ihren Unwillen, so zu funktionieren, wie das insbesondere Männer wollten, lassen es an Deutlichkeit nicht missen, Malina ist ein raffinierter Text über eine Dreiecksbeziehung, die zuletzt keine war, worin vielmehr die Frau sich in ihren Interessen durch ihre männliche Seite vertreten lassen muß, bis sie zwecks Gleichberechtigung alles marginalisiert hat, was sie womöglich ausmachte: eine listige und tragische Parabel auf die Rolle der Frau noch heute.
Natürlich wurde sie dennoch paternalistisch auf ihre hübschen Verse festgelegt; oder pathologisiert, so wurde über einen möglichen Mißbrauch spekuliert, als wäre nicht das ein feststehender Mißbrauch, was zu Lebzeiten Bachmanns Gesellschaft hieß.
Nicht nur der soliden Erschließung des Werkes wegen ist darum die Salzburger Bachmann Edition zu begrüßen, auch die Wahl der Eröffnung ist glücklich: »Male oscuro« liest sich fast wie eine Antwort auf die Unarten der Rezeption.
Hübsche Verse?
„Ich meine […] Schreiben, das war für mich etwas, das war so schön. Aber wie kann das je mehr schön für mich werden? […] Ich will gar nichts mehr schreiben. Zwar weiß ich, daß ich das beste Gedicht vor eineinhalb Jahren geschrieben habe, aber bis heute habe ich es nicht einmal abdrucken lassen.”
Doch auch Heilung ist das Schreiben nicht, es verzeichnet sozusagen, da sei „ein Fleck unter der Haut, es kann gefährlich werden.” Und zugleich ist das Schreiben nicht krank; so beredt, wie Bachmann das, was nicht Pathologie ist, analysiert, ist es eher Anklage solcher Diskurse.
„Ich fange […] an: ich spreche von meiner Krankheit, weiß jetzt schon, daß keiner darüber reden möchte” ,
so ein Traum, worin das Schweigen des Patienten die zweifache Verdrehung abbildet, während Ingeborg Bachmann doch handelt, spricht, agens wie patiens, was man ihr aber als Thema nehmen will – das Bild vom „Gefängnis” ist unzweideutig.
Noch deutlicher ist sie, wo sie von und zu den Ärzten sprechen will, von der „penible(n) präzise(n) Schilderung von erschreckender Genauigkeit”, derer es bedürfe, über die Arztkunst zu sprechen, auch die „gütigste[n]”, die dennoch oft aus Kranken Unrettbare mache, mit Verweis auf Giuseppe Bertos Roman Male oscuro, 1964 erschienen, der sie tief beeindruckte. Dieser Text Bachmanns wider die Heteronomie ist als Medizinkritik beachtlich, weist aber darüber auch hinaus: Wer „ein Wunder an Einsicht” ist, der verliere sich… Erst der Diagnostiker, der nicht hierauf setzt, der „der einzige unfreundliche Arzt” gewesen sei, gibt ihr wieder, was Empathie ihr fast nahm: Autonomie, nämlich eine Diagnose, zu der sie sich verhalten könne – dadurch sei sie „wieder ein Mensch” gewesen.
Wichtige Texte sind es, die hier versammelt sind, Traumnotate, Briefe, Brief- und Redeentwürfe, die auch souverän ediert sind, jeweils mit Bemerkungen zu den Dokumenten, und zwar dem Zustand der Textzeugnisse, welchen Archiven sie entstammen – wobei auch Korrekturen der Herausgeber ausgewiesen sind. Manches Detail wirft dennoch Fragen auf, die sich editorisch vielleicht hätten klären lassen: Steht bei einem Traumnotat, der Traum sei vom „circa 20. 2. 66”, dann wäre doch von Interesse nicht nur, daß sich die Dichterin da in Uetikon aufhielt, sondern auch, woher das Circa rühre: ob sie Träume jedenfalls auch mit Zeitverzögerung protokollierte oder bloß die Datierung rekonstruiert sei, worüber womöglich eine genauere Beschreibung des Nachlaßdokuments, eine größere Reproduktion – das Faksimile findet sich im Anhang – oder auch das ohne Zweifel profunde Wissen der Herausgeber, also ein Satz mehr, vielleicht Aufschluß hätte geben können. Vielleicht, vielleicht … vielleicht tue ich Unrecht, das zu vermuten.
Ganz ohne Zweifel ist dagegen dieser Band zu empfehlen, für sich wie als integraler Bestandteil zukünftiger Bachmann-Lektüren – und er läßt mit Spannung die Fortsetzung der Edition erwarten.
Fixpoetry 2017
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