Altes Märchen in neuem Gewand
Ein Spiel um Verrat und Vergeltung beginnt vordergründig harmlos. Geradezu unbeschwert setzt die Rückblende „Wie's zum Folgenden gekommen sei?“ an, genauso federleicht kontert die Gegenstimme in „Wie das angefangen habe?“. Das zwitschernde Duett hat es jedoch in sich.
Wie sehr der 1976 in Gmünd im nördlichen Österreich geborene Lyrikerin und Philosophin Isabella Breier das Spiel mit unterschiedlichen Sichtweisen liegt, beweist sie mit dem 2013 publizierten Roman „Prokne & Co“. Die Zweiteilung der Geschichte wird schon optisch eingeleitet, der Band lässt sich von vorne und von rückwärts beginnen, die zwei Freundinnen erzählen aus ihrer Sicht, grenzen sich voneinander ab und erstellen gemeinsam diesen Roman. Das heißt, eigentlich erzählen gar nicht sie, sondern zwei ihnen zugeordnete Vögel. Denn dies ist nicht einfach eine Geschichte, sondern der Transfer einer antiken Sage in die Moderne. Und wie vielschichtig ihr das geglückt ist!
Priska und Philina, schon seit ewig einander verbunden, haben den Kontakt zueinander verloren. Erst zufällig kommt Priska darauf, dass ihr Mann Timo daran schuld ist und alle Versuche, wieder zur alten Vertrautheit zurückzufinden, hintertreibt. Nun beginnt ein leidenschaftlicher Parforce Ritt, ausgeschmückt mit Ausflügen in die Kunstgeschichte, Kirchenbeschreibungen besonderer Art, hinterhältigen Essen und allegorischen Facetten. Denn nicht nur Priska hat mit ihrem problematischen Ehemann Timo, einem ehrgeizigen Philosophen, einen Widerpart, sondern Philina kann auch noch mit einem toten Vater aufwarten, der unter anderem ein Priester war.
Nicht nur Wien ist Bühne, sondern auch Rom.
Denn Philina erfährt von der Römischen Wohnung ihres Vaters, in der sie nun leben darf – allerdings mit einer bis dahin unbekannten Halb(?)-Schwester, Phoebe, die offensichtlich den Vater besser kennt als Philina lieb ist. Die Opulenz wird noch gesteigert, weil Breier den zwei Frauen eben zwei Vögel als Begleiter und Beschützer zur Seite stellt: die Nachtigall gehört zu Prokne, und die Schwalbe zu Philomele. Wer die Sage kennt, weiß, warum schon zu Beginn Timo als Wiedehopf beschimpft wird. Gar nicht klein ist daher das Vergnügen daran, wie Isabella Breier die antike Geschichte in ein modernes Beziehungsdrama umwandelt und mythologischen Prototypen zeitgenössisches Fleisch und Moralempfinden auf die Knochen zaubert.
Komisch fügt sich die Sprache der jungen Frauen in das dichte Geflecht aus Innen- und Außenansichten. Dieser Roman weist einen verschränkten Bau auf, der an komplizierte Versstrukturen erinnert. Er besticht mit seinem Wortschatz und dem Spiel mit Sprachbildern und Rhythmen. Das Tempo ist fast durchgehend forciert. Manchmal wirkt das manieriert, doch wird es immer wieder gebrochen durch die teilweise sehr witzigen inneren Monologe, welche die zwei Frauen als eindeutig heutige Wesen ausweisen.
Das klingt nach schwerer Kost, liest sich nicht schnell, und ist absolut empfehlenswert, wenn man einer Lyrikerin folgen will, die sich den Möglichkeiten der erzählenden Prosa unterwirft und darlegt, wie farbig sich ein altes Märchen im schillernd neuem Gewand präsentieren kann.
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