Facebook, stinkwütende Griechen und die Partyexpertin
Jackie Asadolahzadeh
Monday, 4 November 2013 at 20:11
beschreiben sie sich in vier worten: "der älteste teenager deutschlands."
Aha. Was ist das nun: Selbstironie, -kritik, -beweihräucherung oder bloß -darstellung?
Scrollen wir etwas hoch.
Jackie Asadolahzadeh
Monday, 4 November 2013 at 20:42
oder: "die tina turner der tagebuchliteratur."
Fakt eins: Zählen ist nicht Jackie Asadolahzadehs Stärke. Fakt zwei: Die krude erste Analogie erhielt eine halbe Stunde später eine Alternative, die das popkulturelle Wissen fordert. Tina Turner, das ist doch diese Pop-Röhre, der es meistens um You and I, den Liebhaber und sie selbst ging.
Aber Jackie Asadolahzadeh?
Die redet von sich zu sich, vor rund 1360 Facebook-Freund_innen und circa 160 Followern.
Ein paar von denen mischen sich ein, schlagen statt der Turner Katja Ebstein vor. »aber tina turner find ich geht auch nicht«, schreibt eine. Die Antwort: »doch das geht. ich zeig dir das auf der tanzfläche. «
Hätten wir das also geklärt. Der älteste Teenager Deutschlands kann tanzen wie Tina Turner. Und führt regelmäßig Tagebuch, pardon: Schreibt Tagebuchliteratur. Auf Facebook. Das hat sie früher auch schon getan, damals noch ganz »Analog«, wie einige Kapitel von Jackie Asadolahzadehs vor Kurzem bei Blumenbar erschienenem Textkompendium überschrieben sind. Analog meint hier mit Stift, Zettel und Klebestift.
Apple zum Frühstück heißt das nun Buch, in dem diese Texte neben Partykolumnen aus dem Berliner Nachtleben und Notizen aus dem durchdigitalisierten Alltagsleben erschienen sind. Es liegt, erste Überraschung: gedruckt vor und bereits in den ersten Sätzen, zweite Überraschung: lässt Jackie A., wie ihr Name auf dem Cover lautet, sich darüber aus, dass sie sich mit dem Titel nicht so recht anfreunden kann. Widersprüchlich, oder?
Zumindest ergeben sich drei Fragen: Warum sollten wir in die aneinandergereihten Tagebuchschnipsel und Lebensweisheiten einer tip-Partykolumnistin mit Teenager-Vergangenheit investieren, wenn die doch eh alles auf Facebook dokumentiert? Warum identifiziert die sich scheinbar nicht mit dem, was sie da geschrieben hat? Und warum muss sie das zusätzlich noch unbedingt drucken lassen, wenn sie die gefaketen Steckbriefe zu ihrer Person vermutlich eh mit Photoshop zusammengeschustert und sie die Tagebuchnotizen ihres 12jährigen Selbst bereits eingescannt und ins Netz geladen hat?
Das sind Fragen, auf die Apple zum Frühstück mit seinem sprunghaften Collagestil – grob wird nach Themen eingeteilt, Jugend gegen Jetzt gesetzt, ansonsten steht alles achronologisch beieinander – und seiner frechen, unterhaltsamen Schreibe keine Antworten zu liefern scheint. Oder zumindest nur nach und nach.
Kleiner Exkurs: Die Erfindung der – analogen, würde Asadolahzadeh vielleicht sagen – Schrift gilt als der Initiationsmoment unserer westlichen Kultur. Das machte damals aber ein paar Griechen stinksauer. Alles aufzuschreiben, das würde uns das Erinnerungsvermögen schwächen, sprich: Dumm machen. Jedem Anfang wohnt, so soll ein Eso-Fritze später schreiben, ein Ende inne.
Und heute? Heute hauen technophobe Kulturpessimist_innen in dieselbe Kerbe, reden aber von Smartphones, Social Media und unseren virtuellen Identitäten. Alles nur Schein und zu wenig Sein. Der Vorwurf ist derselbe: Wir entfremden uns, wenn wir uns den Medien anvertrauen.
Da hilft es nichts, das schon der alte Mythendrechsler Ovid sich kurz nach Christi Geburt anmaßte, ein fröhliches »Doch mit meinem besseren Teil werde ich fortdauern und mich über die Sterne emporschwingen; mein Name wird unzerstörbar sein« in die Runde warf und Recht behalten sollte.
Zwei Jahrtausende später kommt dann Jackie A.
Die hat versatzstückartig Anekdoten aneinandergereiht, aus denen sich über mehr als 200 Seiten ihre eigene Metamorphose vom unschuldigen Teenie in der DDR über ihr Erwachsenwerden Berlin der technoinfizierten Neunziger bis hin zur facebookenden Partyexpertin der Jetztzeit nachvollziehen lässt. Ihr Leben zwischen Disco und Dispo, wie der Untertitel lautet, geht eigentlich nur sie etwas an, trotzdem teilt sie es mit uns.
Mit uns, die wir uns ähnlichen Prozessen nicht entziehen können, die wir auch in sozialen Netzwerken unsere Identitäten konstruieren. Die wir uns Apps und natürlich auch Apple-Produkten anvertrauen, gerne während des Frühstücks. Und de wir jammern, weil wir ohne Smartphone dumm da stehen.
Deshalb geht es uns was an, sollte es uns interessieren.
Abstand zur eigenen Person – das heißt auch: dem eigenen Schreiben – zu nehmen muss nicht bedeutet, sich der Identifikation zu verweigern, sondern heißt lediglich, dass Jackie A. den veränderten Medien- und damit Lebensbedingungen ins Auge sieht. Ein Prozess, in dem wir uns – ob nun als Teenager mit Stift und Tagebuch bewaffnet oder als erwachsene Menschen auf dem Smartphone herum fingernd – immer schon unsere verschiedenen Individuationen geschaffen haben.
Das noch als gedrucktes Buch zu veröffentlichen, ist schon folgerichtig. Eben weil diese verdammten alten Griechen der antiken und Jetztzeit ein Medium – Mündlichkeit der Schrift damals, Buchdruck dem Digitalen heute – dem anderen vorzogen und -ziehen, muss jemand beweisen, dass beide prima koexistieren können. Ohne es dabei an kritischer Haltung fehlen zu lassen. Das alles aber schüttelt Jackie A. locker aus dem Ärmel, pardon: der Timeline und wischt damit die Untergangslitaneien elegant beiseite.
Ohne jedoch die schöne neue Welt auszurufen. Zweifel an diesem Leben, was es mit uns macht und wie es uns entfremdet, finden sich genug. So viel innere Zerrissenheit muss doch sein, ist immer schon drin gewesen. Lösungen dafür finden sich ebenso schnell wie passende Worte zur Selbstbeschreibung. Manchmal sind es aber zu viel oder aber eine halbe Stunde später kommt der nächste treffende Gedanke. Das bisschen Schein gehört nun mal zum Sein dazu.
Apple zum Frühstück ist ein Buch voller Widersprüchlichkeiten und Chaos. Und begegnet dieser Welt mit einem nüchtern-besoffenen Realismus zwischen physischer und virtueller Welt, Ernst und Spaß, Glück und Depression, Persönlichkeit und Identitätswirrwarr. Nicht jubilatorisch-zukunftsverklärt, aber auch nicht konservativ-nostalgisch.
Nebenbei ist es noch smart und unterhaltsam zugleich geschrieben. Hier ein Lacher, dort ein profunder Gedanke, dann schon wieder das nächste Thema. Ein einziger Gedanken- und Erinnerungsstream, gekonnt ins Buchformat übersetzt. Alles richtig gemacht, diese Jackie A. Das heißt, was ist schon richtig? Und wer Jackie A.?
Bescheiden heißt es im letzten Kapitel, das halb wehmütig, halb nüchtern Testament einer aussterbenden Spezies überschrieben ist, über das Buch und vielleicht auch die Autorin: »Es wurde geschrieben, um einige Menschen auf besondere und sehr persönliche Weise zu unterhalten und um eine einzelne Autorin zu ernähren. Ich hoffe also, Sie hatten ein paar gute Momente damit.«
Aber unbedingt doch! Und wir haben sogar etwas dabei gelernt. Spielend leicht. Denn verdammt gut schreiben konnte Jackie A. – die damals noch Jacqueline mit Vor- und mit Nachnamen ebenfalls anders hieß – damals wie heute. Auf Papier und Facebook. Das zeigt sie uns zwar nicht auf der Tanzfläche, aber mit diesem tollen Buch.
Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben