Planschen in den Fakten
Wer ist dieser Jakob Nolte? Selbst der Name seiner Heimatstadt, Barsinghausen am Deister, klingt wie ausgedacht. Wer ist dieser Jakob Nolte, der eine Hälfte des Autorenduos Nolte/Decar bildet, die auf dem PROSANOVA-Festival in Hildesheim 2014 ein Talkshow-Format präsentierten, das mit der eigenen Langeweile kokettierte, und Stücke schreiben, in denen allein die Variationen des Titels vier Seiten in Anspruch nehmen (Helmut Kohl läuft durch Bonn, UA 2014 ebendort)?
Zu Beginn sei vorgewarnt, dass auch dieser Artikel wenig Licht in das Mysterium der Autorenfigur Jakob Nolte bringen wird, der seinen Texten gerne Motti von Alternative-Bands wie den Silver Jews voranstellt, sich einen ganzen Aufsatz lang der Neil-Young-Ballade „Cortez The Killer“ widmet (in: Neue Rundschau 125/1) oder auf die wichtige Unterscheidung zwischen Skateboarding und der Skateboarding-Szene hinweist („Sanft wie die untere Haut am Schwanz“, in: BELLA triste 39). Zu den verlässlichen Fakten: Jakob Nolte wurde 1988 in Barsinghausen am Deister geboren, studierte szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin, in der Spielzeit 12/13 wurde am Landestheater Salzburg sein Stück Agnes uraufgeführt, im Herbst letzten Jahres feierte eine Bearbeitung der Christoph-Willibald-Gluck-Oper Die Pilger von Mekka am selben Ort Premiere. In diesem wenig bekannten Singspiel, einer Art Urversion von Mozarts Entführung aus dem Serail, begibt sich ein Aristokrat auf die Suche nach seiner Verlobten, die von Piraten entführt wurde. Am Hof des Sultans findet er sie wieder, die Flucht der beiden scheitert, doch der Sultan erkennt schließlich die Unverletzlichkeit der Liebe und lässt sie frei. Die Salzburger Nachrichten schrieben von einer „buffonesken Umtriebigkeit“, mit der sich die Schauspieler in das „ziemlich sinn- und zweckfreie Treiben auf der Bühne“ fügten.
Nun also ein Roman. Man kann nur vermuten, wann Jakob Nolte zwischen seinen Arbeiten als Dramaturg und Theaterautor Zeit für die Abfassung von Alff gehabt hat, und das ist auch vermutlich der Grund für die Rasanz dieses E-Books, das in Papierform etwa die 300 Seiten umfassen würde. Der äußeren Form nach einem Film des Genres High-School-Slasher nicht unähnlich, errichtet Jakob Nolte in Alff (Robin Detje: „Ein Buch wie eine Fernsehserie, die ins Stottern geraten ist“, Interview bei Fiktion) Handlungsgerüste, die sich gleichermaßen durch ihre luftige Konstruktion und ihre absurde Detailversessenheit auszeichnen. Die Mordserie an Schülern der High & Low Highschool in einer amerikanischen Kleinstadt, in der FBI-Agent Donna Jones ermittelt, bildet den roten Faden; bis weit ins Groteske reichende Ausschmückungen (von der Mordmethode des „Vollstrickens“ bis zur Traumatisierung der den Opfern nahestehenden Figuren, die sich schon einmal in geistiger Umnachtung die Kniescheibe aufschlecken) sowie zahlreiche, mit einer Art archivarischem Furor in den Text hineingeworfene Verweise auf Musiker, Fernsehfiguren und Sportereignisse der frühen neunziger Jahre gruppieren sich um diesen Handlungsfaden herum. Wobei sie in bester postmoderner Manier nicht selten den Blick auf die Handlung verstellen und Falltüren in Subplot um Subplot öffnen, wenn es zum Beispiel darum geht, die Geschichte der „Anachronistischen Jugend Beetaville“ zu erzählen, für die die Zeitrechnung mit dem Tod Kurt Cobains am 5. April 1994 endet oder einen Blick auf die Gründung der Band „La Deutsche Vita“ zu richten, die ihren Namen als Referenz auf die trügerische Nachkriegsruhe in der Bundesrepublik Deutschland vor der Eröffnung des Eichmann-Prozesses verstanden haben will. Müßig zu erwähnen, dass der Detektiv, der zwischenzeitlich mit weisen Dachsen im Wald konferiert, dann eher zufällig über die Lösung seines Falls stolpert.
Was Jakob Noltes Roman von vielen anderen dieses Herbstes abhebt, ist sein spielerischer Gestus, der Umgang mit Material, der sich deutlich an die großen Namen der amerikanischen Postmoderne anlehnt, aber genausogut auch auf Alfred Döblins Diktum zu dessen 1920 erschienen Wallenstein-Roman – „Ich planschte in Fakten“ – zurückgeführt werden könnte. Mit anderen Worten: Eine Zumutung im besten Sinne – und ein irrwitziges Romanprojekt von der Art, wie es sie in der oft ob ihrer Langweiligkeit gescholtener junger deutschsprachiger Gegenwartsliteratur durchaus häufiger geben könnte. Barsinghausen am Deister sei’s gedankt!
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