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Kritik

Unbekannte Berühmtheit

Dichtungen und Briefe von Jakob van Hoddis

Jakob van Hoddis ist, wenn man das so paradox sagen kann, eine der großen unbekannten Berühmtheiten der deutschen Literatur. Zwar ist sein Gedicht "Weltende" spätestens seit seiner Wiederveröffentlichung in Kurt Pinthus wegweisender Anthologie "Menschheitsdämmerung" von 1919 weltbekannt, doch der Autor, der zu diesem Zeitpunkt noch lebte, war selbst für seine Freunde kaum noch erreichbar.

Nach vielen nervösen Ausbrüchen, die sich ab 1912 immer verstärkter zeigten, hatte ihn seine Mutter, als sie seiner habhaft werden konnte, in die Psychiatrie einweisen lassen, der Autor war bald danach weggesperrt und mundtot gemacht worden. Man hielt dergleichen damals für Fürsorge. Die Psychiatrie sollte auch das Todesurteil für van Hoddis, der 1887 als Hans Davidsohn in Berlin geboren wurde, bedeuten. Er wurde 1942 mit anderen Psychiatriepatienten nach Sobibór verschleppt. Das genaue Datum seiner Ermordung dort ist unbekannt

Zunächst waren es nur eine Handvoll Gedichte, die man von van Hoddis kannte, sie erschienen in der "Aktion", im "Sturm" und ein paar weniger bekannten Zeitschriften, 16 Gedichte wurden 1918 von Franz Pfemfert in einer kleinen Broschüre herausgegeben. Van Hoddis, der sich zu seinen besten Zeiten in arger Konkurrenz zu Georg Heym sehen durfte, und der als ähnlich große Begabung galt, war als Mensch vergessen, später in der NS-Zeit war sein Werk als das eines Expressionisten und Juden unerwünscht. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen einige umfangreichere Sammlungen seiner Texte. Langsam wurde Jakob van Hoddis endlich auch in seiner Rolle als wegweisender Dichter des Expressionismus erkannt.

Regina Nörtemann hat nun, 20 Jahre nach ihrer ersten kritischen Ausgabe von Hoddis' Gesamtwerk, diese noch einmal überarbeitet, und konnte jetzt sogar die erst später aufgefundene Szenenfolge "Vom Bette durch die Welt zum Tode" darin integrieren. Dennoch umfasst das überlieferte Werk van Hoddis' inklusive der Briefe nicht einmal 200 Druckseiten. Dramatische Versuche, wie etwa das Stück "Der Tod Georg Heyms", von dem van Hoddis 1919 einem Freund erzählte, sind, wenn überhaupt aufgeschrieben, offensichtlich verschollen - ebenso auch viele der Gedichte, von deren Existenz nur noch Titel auf Ankündigungszetteln von Lesungen oder in Erinnerungstexten von Freunden künden.

Umso mehr ist die akribische Herausgeberinnentätigkeit von Regina Nörtemann zu loben, die mit ihrer jetzigen Ausgabe die vorige, bereits zu Recht gepriesene noch verbessern konnte und sie nicht einfach nur aktualisierte. Sie hat das Gute noch besser gemacht. Mehr kann man nicht erwarten.

Jakob von Hoddis
Dichtungen und Briefe
Kommentar: Regina Nörtemann
Wallstein
2007 · 368 Seiten · 29,00 Euro
ISBN:
978-3-835301788

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