Wieder aufgetaucht
Manche Dinge nimmt der Mensch erst bewusst wahr, wenn sie verschwunden sind. So erging es mir auch mit der Kolumne von Jenny Erpenbeck, die ich in der Samstagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung meistens nur kurz überflog und die ich erst vermisste, als sie durch eine andere Kolumne ersetzt wurde.
Doch nun sind die „Dinge, die verschwinden“ wieder aufgetaucht: gesammelt und überarbeitet in einer wohlfeilen Ausgabe des neuen Verlags Galiani aus Berlin. Ganz so wie es sich Jenny Erpenbeck in ihrem Text „Käse und Socken“ erhofft: „Und damit bin ich bei meiner Hoffnung angelangt. Meiner Hoffnung, daß das Verschwinden von Dingen an einem Ort ihr Erscheinen an einem anderen notwendig zur Folge hat“. Es bleibt dabei nur die Frage, warum ein neuer Verlag bei einem neuen Buch meint, die alte Rechtschreibung vor dem Verschwinden retten zu müssen.
Mit Trauer, wie bei ihrer ehemaligen Nachbarin „Miezel“, mit etwas Melancholie („Erinnerungen“), mit Enttäuschung („Höflichkeit“) und gelegentlich auch mit Erleichterung, ganz besonders beim „Palast der Republik“, nimmt Jenny Erpenbeck Abschied von ganz verschiedenen Dingen, die einen Platz in ihrem Leben hatten. Dabei sind diese Dinge nicht immer konkrete Gegenstände aus dem Berliner Alltag, sondern mehrfach auch abstrakte Begriffe, „Beßre Welt“ und „Jugend“ etwa. Es sind Dinge dabei, die wirklich niemand vermisst, wie etwas die grässlichen „Tropfenfänger“ an den Kaffeetassen. Dennoch wirken sie wie ein Leitmotiv vergangener Tage, mit denen viele Erinnerungen verknüpft sind, und ihr Verschwinden macht zumindest dem Leser aus der gleichen Generation wie der Autorin deutlich, wie schnell sich das Leben und die Welt auch im Kleinen um einen herum verändern.
Es fällt auf, dass die Vergänglichkeit und ganz konkret das Verschwinden ein zentrales Thema der Literatur in diesem Jahr ist. Nach Mirko Bonnés lesenswertem Roman „Wie wir verschwinden“ und dem Gedichtband „Kanon vor dem Verschwinden“ von Tom Schulz ist dies die dritte Neuerscheinung, die bereits im Titel explizit darauf Bezug nimmt. Zumindest lässt sich dieses Phänomen als ein Zeichen deuten, dass die Literatur glücklicherweise noch nicht im Verschwinden begriffen ist.
Die Liste der Dinge, die verschwinden, von Jenny Erpenbeck ließe sich gleichwohl sehr leicht erweitern: Wundertüten, Schnurtelefone, Schreibmaschinen und bestimmte Autorennamen. Und nicht zuletzt verschwinden Rezensionen von Lyrik- und Prosabänden aus den Feuilletons der Tageszeitungen. Aber immerhin tauchen sie jetzt im Internet wieder auf – so wie diese.
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