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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Die Flüchtigkeit weiß keine Zeit

Die Verfahren der Lyrik werden immer kunstvoller. Oft geht es darum, Texte so zu gestalten, daß man sie möglichst nicht versteht, nicht weil man etwas zu verbergen hätte, sondern weil das Verborgene als ein Geheimnis ästhetische Qualität verleiht. Nichts bleibt unversucht, es ist ein Aufbruch, ein Aufbrechen. In den Auflassungen sieht man nach und wird fündig. Dazu werden u.a. Fachsprachen und Wörterbücher ausgebeutet, um sprachliche Überraschungen, fremdartige Texturen, aufs Papier zu bringen, das „Be-Schreiben“ ähnelt mehr einem Auftragen, Grundieren von neu entdeckter Fläche, dem in weiteren Schritten dann das Aus-Schreiben folgt, die Arbeit am Detail. Das bringt Struktur und scheinbare Tiefe. Dort herrscht  eine fremdartige Chemie zwischen den Worten, Spannungen entstehen. Auf- und Entladungen.

Was bei solcher Methodik allerdings sehr oft auf der Strecke bleibt, oder über die Fläche unkenntlich verschmiert, ist „der schöne Satz“, der ohnehin im Verdacht steht von gestern zu sein, ein Gartenzwerg im Vorgarten. Die anhaltenden Tabubrüche haben uns längst neue Tabus beschert. Vielleicht braucht es heute mehr Mut dazu einen schönen Satz zu schreiben und ihn bestehen zu lassen, als ihn zu zerhacken. Auf die Gefahr hin. Der Mutige ist nicht der Sprengmeister, sondern der in der Auflassung findet und für sich gültig erklärt. „vielleicht ist ein gedicht nichts - / nichts als des verlornen geruch“.

Jörg Bernig war Bergmann und fand erst spät zur Literatur. In der alten DDR gelang ihm das Schreiben nicht, die Verhältnisse – so sagt er selbst – verschlugen ihm die Sprache. Er debütierte 1998 mit dem Band „Winterkinder“, Gedichte, die schon damals als Grundmoment das erzählende Erinnern hatten, „.....lieder / auf schon gewesnes“, schreibt er heute. Das ist ihm also geblieben. Auch in „wüten gegen die stunden“, das nun im Mitteldeutschen Verlag erschienen ist, bleibt Bernig ein Erzähler. Das verträgt kein Spektakel. Eher Melodien, die man sich summt und die man laut singt. Es spielt keine Rolle, daß dabei „schöne Sätze“ anfallen, jede Menge Kleinode, wie man sie lange nicht in der deutschen Lyrik gelesen hat. Sollen sie anfallen. Sie gehören zu dieser Melodie und man kann es nicht ändern. Wieso versprengen, wenn die Töne da sind und gut klingen. Um des Geheimnis willen? Das Geheimnis liegt nicht nur in den bewußt zertrümmerten Dingen und den Quantenobjekten. Daß wir die Dinge schauen, ist manchmal Geheimnis genug.

Jörg Bernig traut sich, die Sätze zu lieben, die er schreibt: „ein leichter luftzug genügt und das laub fällt als gold von den linden“. Es genügt die Luft und es genügt der taunasse Ginster. Blumen gibt es, Malven, Lichtnelken, wilden Mohn, „in der schwarzen kastanie wintermager die amsel“. Es gibt das Vergehen im Licht und das Dasein „am pendel der zeit“. Es sind die spielenden Kinder und die offenen Fenster am Abend im März. Es ist die Suche nach den Rändern des Sinns und der Zweifel am Sinn dieser Zeit ( „s.o.s. de profundis die Nautilus sinkt tiefer und tiefer / im nordmeer | wir verloren ein u-boot / heißt es und erst später: mit einhundert mann | ach einen / scheißdreck herr general einen scheißdreck |“). Es ist der Moment klar Schiff zu machen und sich eine Rasur zu verpassen. Der flüchtige Tag bringt „ab jetzt alles / weitere“. Auch Erinnerungen. Das gehört zu uns. Bernig schafft es in seinen Gedichten, Momente wieder lebendig zu machen.  

von fernher

das war der weg er ging
hinter den letzten häusern über in sand

die welt war vermessen
von wegen wie diesen sie galten nicht viel

aber der aufbruch von dort ins wilde
das begann schon am ende der straße

dort wo es wehte wo den sand es herantrieb
über’s gesamte eurasische grundstück

Jörg Bernig hat ein wundervolles Buch geschrieben. Seine Gedichte haben etwas, was man in der modernen Lyrik oft vermißt: Zauber und alltäglichen Grund für den Zauber. Er zerhaut nicht und läßt gelten, was flüchtig ist, weil es das natürlichere, das entsprechendere dem ist, der von der Welt erzählt, statt sie im Wort zu erobern. Und ist dabei mutig, weil er es ablehnt der Schönheit seiner Sprache etwas hinzuzufügen, dessen sie nicht bedarf. Er widersteht der Verlockung originell sein zu müssen und ist lieber original.

Jörg Bernig
wüten gegen die stunden
Mitteldeutscher
2009 · 127 Seiten · 9,90 Euro
ISBN:
978-3-898126045

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