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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Ein Roman von der Größe eines Universums

Hamburg

„Manche Bücher scheinen das Leben zu erweitern und Sätze zu enthalten, die sich zu ganzen Sonnensystemen auswachsen.“

Diese Worte legt Jón Kalman Stefánsson dem Erzähler seines neuen Romans in den Mund. Etwas von der Größe des Universums ist auch eines dieser Bücher, das solche Sätze beinhaltet und einen immer wieder zum Notizbuch greifen lässt, um sie aufzuschreiben.

Zu Beginn fordert der Roman, der eine Ergänzung zu Fische haben keine Beine (2015) bildet, dem Leser jedoch einiges an Konzentration ab, denn die einzelnen Handlungsstränge, die insgesamt beinahe ein Jahrhundert umfassen, verdichten sich erst nach und nach zu einem Ganzen.

In einer wunderschönen poetischen Sprache erzählt der Autor von Glück und Unglück dreier Generationen einer isländischen Familie. Es ist ein ganzes Panorama von Personen und Schicksalen, das hier entfaltet wird. Manchen von ihnen begegnen wir nur einmal, andere begleiten den ganzen Roman hindurch.

Im Zentrum der Familiensaga steht Ari, der seinen Vater Jakob im Altenheim in Keflavík besucht, nachdem dieser ihm mitgeteilt hatte, im Sterben zu liegen. Seit dem frühen Tod von Aris Mutter ist ihre Beziehung vor allem durch ihre Unfähigkeit, über das Geschehene zu sprechen, geprägt. Statt dem Jungen die Möglichkeit zu geben, den Tod zu verarbeiten, soll die Stiefmutter die Mutter ersetzen und Jakob, von der Situation überfordert, wird zum Alkoholiker und schlägt seinen Sohn.

„Jakob [...] haut Ari so fest, dass er die Engel im Himmel singen hört, so fest, dass Planeten aus ihrer Bahn trudeln und Gott hilflos mit seinen Flügeln schlägt.“

Als die Nachricht seines Vaters kommt, steckt Aris Leben gerade in einer Krise: Seine Dichterlaufbahn stagniert und seine Frau Þóra hat er betrogen, obwohl er sie eigentlich immer noch liebt. Nach einem heftigen Streit verlässt er seine Familie mit der Angst im Nacken, seinem Vater zu ähnlich zu werden. Sein Besuch in Keflavík ist für ihn gleichzeitig auch eine Reise in die eigene Vergangenheit.

Parallel zu Aris Geschichte werden in kurzen Kapiteln andere Schicksale der weitverzweigten Familie erzählt. Da gibt es zum Beispiel Lilla, die nach dem Tod ihrer 8-jährigen Tochter Lára ein Gedicht schreibt, in der verzweifelten Hoffnung, so den Verlust zu verarbeiten. Oder Aris Onkel Þórður, fasziniert von Dantes Göttlicher Komödie und mit literarischem Talent ausgestattet, der jedoch als Sohn des berühmten Seemanns Oddur zeitlebens in dessen Schatten steht und letztlich viel zu früh stirbt, um ein großer Dichter wie Gunnar Gunnarsson zu werden.

Auf berührende Art und Weise erzählt Jón K. Stefánsson von den Träumen, Ängsten und Hoffnungen seiner Figuren. Es geht um die Liebe, vertane Gelegenheiten und zweite Chancen. Stefánsson kehrt das Innenleben seiner Figuren nach außen, erzählt mit leisen Tönen von deren Glück und Kummer und berührt dabei existentielle Fragen des Lebens. Obwohl der Tod allgegenwärtig scheint, ist es doch am Ende das Leben, das gefeiert wird.

„Wie viele Tage verbringen wir im Verlauf eines Lebens auf diesem Planeten, die wirklich wichtig sind, an denen sich wirklich etwas ereignet, wodurch das Leben bereichert wird und abends heller scheint als am Morgen? Wie viele solcher Tage?“

Jón Kalman Stefánsson
Etwas von der Größe des Universums
Übersetzt von: Karl-Ludwig Wetzig
Piper Verlag
2017 · 400 Seiten · 24,00 Euro
ISBN:
978-3-492-05795-0

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