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Kritik

Wir alle sind Barbaren, aber frag bloß nicht warum...

Hamburg

Die Linie zwischen Zivilisiertheit und Barbarei ist unfassbar dünn. Reiche sind gefühllose Ignoranten, deren Leben vor allem Fassade und deren Seelenleben Geld ist. Der Kapitalismus ist böse. Irgendwann wird er zusammenbrechen und die Zivilisation in die Barbarei führen.

Und so weiter. Kann man zustimmen. Kann man ablehnen. Je nachdem, wo man gerade steht. Im Kern fassen diese Sätze zusammen, worum es in Jonas Lüschers Debüt „Frühling der Barbaren“ geht. Die Linie zwischen tiefer Einsicht, Binsenweisheit und Klischee ist unfassbar dünn. Oder? Man will fragen: Schön, und was sagt mir das jetzt? Aber diese Frage wird schon vom Protagonisten Preising unterbunden: „Du stellst die falschen Fragen!“ Das ist der erste und auch der letzte Satz der Novelle. Nur um ganz sicherzugehen. Und natürlich um die Sache rund zu machen, falls man zwischendurch geglaubt haben sollte, sie sei es nicht.

Der Kärntner Industrieerbe Preising sitzt in der Psychiatrie. Beziehungsweise: Er schlendert durch ihren Garten und erzählt. Ausladend. Wie alte oder wahlweise irre Menschen ebenso sind. Eingewiesen wurde er von Prodanovic. Der leitet nun die Geschäfte, die dreckigen. Preising erzählt von seiner Tunesienreise. Es ging um Geschäfte. Um die Fabriken, die Kinderarbeit, die Preising so schockiert, mit der Prodanovic aber ganz gut leben kann, solange der Preis stimmt. Es geht um Preisings Tage im Oasenresort, wo ein junges Londoner Börsenzockerpaar heiratet, umgeben von siebzig ebenso reichen Börsenzockerschnöseln, die sich in der inhaltlichen Leere ihrer materialistischen Existenz suhlen. Tunesien übrigens: Nach Ben Ali, in naher Zukunft. Aber all das ist den Hotelgästen völlig egal, sie leben in ihrer abgeschotteten Scheinwelt. Die zerbricht zwangsläufig beim nächsten Bankencrash. Das Königreich meldet Konkurs an, alle werden gefeuert und sitzen in der Wüste fest. Rasten aus. Werden zu Ehebrechern und Mördern, werden aus dem paradiesischen gelobten Land vertrieben wie damals die … ja, dieses Bild bemüht der Autor tatsächlich. Der Frühling der Barbaren im Land des Arabischen Frühlings. Auf so was stößt man alle paar Seiten, nicht weiter schlimm.

Heilige Scheinwelt, die ins Chaos führt. Was soll uns das jetzt sagen, dieses biblische Motiv? Frag nicht! Schlimmer ist noch die furchtbar gestelzte Sprache, in der all das daherkommt, die das Lesen ziemlich mühsam macht, und die dann auch noch mehrmals von der sprachlichen Entgleisung unterbrochen wird, wenn etwas „am Zusammenbrechen“ ist. Da merkt man dann: Der Text klingt nicht bloß bemüht, er ist es.

Jonas Lüscher
Frühling der Barbaren
C.H.Beck
2013 · 125 Seiten · 14,95 Euro
ISBN:
978-3-406-64694-2

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