The next big thing?
Es ist eine Begleiterscheinung des Literaturbetriebs, dass alle paar Jahre ein neuer Stern am amerikanischen Highbrow-Himmel erscheint, der sogleich mit berühmten Kollegen in Verbindung gebracht wird. Wird Joshua Cohen, von dem nun erstmals ein Buch auf Deutsch erscheint und „der schon jetzt mit Thomas Pynchon und David Foster Wallace verglichen wird“, der nächste gehypte US-Autor in Deutschland sein? Schon möglich, denn in seinen (Kurz-)Geschichten Vier neue Nachrichten, widmet er sich einem derzeit gefragten Thema, dem „Leben im Internetzeitalter“. Als ob das Internet gestern erfunden wurde, als ob es für uns alle „Neuland“ wäre, schrieb der New York Observer sogar von „neuem literarischem Terrain“, auf das Cohen „uns“, also die Leser, führt.
Das ist der Punkt, an dem ich sicherheitshalber zwei Dinge vorweg schicken möchte. 1. Ja, Joshua Cohen ist ein überaus talentierter Autor. 2. Nein, das Erzählen hat auch er nicht neu erfunden. Geradezu klassisch, fast novellistisch wirkt zum Beispiel die erste Geschichte Emission, in der der kleine Dealer Momo sich verquatscht. Er hielt es wohl für eine gute Idee gegenüber Fremden zu erzählen, was er nach einer Party mit einem schlafenden Mädel angestellt hat. Blöderweise verselbstständigt sich die Story über einen Blog und wird schließlich zu einer Online-Rufmordkampagne. Um die Sache wieder in Ordnung zu bringen, heuert Momo eine fragwürdige Firma an, was ihn aber nur immer tiefer in die Sache zieht. Das alles erzählt Momo in einer Rahmenhandlung einem gescheiterten Schriftsteller, der wohl immer noch nach der ganz großen Story sucht. In Emission wird zum ersten Mal klar, dass das Leben im Internetzeitalter die gleichen Probleme mit sich bringt, wie es sie schon offline gab. Es geht um die Orientierungslosigkeit von Mitt- und Endzwanzigern, um Identität, Existenz, Triebe und zwischenmenschliche Konflikte.
Und natürlich die Konflikte, die man mit sich selbst auszutragen hat, wie etwa der Texter in McDonald’s, dem es zutiefst widerstrebt den Namen der Fast-Food-Kette zu benutzen. In einem verstiegenen inneren Monolog versucht er das Problem auszuloten und zu umgehen. Eine Story, die sprachlich auf hohem Niveau agiert, aber den Leser dabei an den Rand des Nervenzusammenbruchs führt.
Die wohl beste Geschichte des Bandes ist Der Uni-Bezirk, die nicht nur eine gnadenlose Satire auf creative-writing-Kurse in der US-Provinz ist, sondern die Frage danach, wie man Texte „baut“, allzu wörtlich nimmt. Das Ergebnis ist eine in Zeit- und Erzählebenen vielschichtige Story, die hoffen lässt, das aus jedem Schriftsteller irgendwann mal etwas „Ordentliches“ wird, und nebenbei eine großartige Hommage an das berühmte Flat Iron Building ist.
Überhaupt geht es in Cohens Texten oft um das Schreiben und um gescheiterte Autoren, sodass manchmal der Eindruck entsteht, es handle sich unter der Oberfläche doch um Künstlergeschichten für das 21. Jahrhundert.
Beschlossen wird der Band von der in mehrere Kapitel und Unterkapitel aufgeteilten Geschichte Gesendet, die bereits den Charakter eines Kurzromans besitzt. Das Ganze beginnt mit einer an einem handgefertigten Holzbett entlang erzählten Familiengeschichte, die auf etwa 20 Seiten gleich mehrere Generationen vereint und damit ein wenig an Heinrich Manns 3-Minuten-Roman erinnert. Ihr vorläufiges Ende findet die zweifelhafte Saga als das Bett bei der Produktion eines Amateurpornos auseinanderbricht, nachdem es zuvor so laut knarzte und krachte, dass man die Dialoge der Darsteller nicht mehr verstand.
Zweifellos hat Cohen ein Gespür für Satire und unfreiwillige Komik seiner Figuren; er weiß seine Geschichten mit einer ordentlichen Portion Sprachkritik einem gebildeten Lesepublikum schmackhaft zu machen. Dass sein Stil jedoch als „erfrischend neu“ und „aufregend anders“ bezeichnet wird, wie unlängst von Vivien Timmel in ihrer Besprechung auf Spiegel Online, ist wohl dem eingangs erwähnten, sich anbahnenden Hype geschuldet. Denn Cohens Texte funktionieren im Kern nicht anders als die so vieler seiner gleichaltrigen Kollegen. Popkulturelle Anspielungen werden mit intellektuellen Insidern gepaart, und bloß nicht die coole (Selbst-)Ironie vergessen, die gern auch metafiktional präsentiert werden darf. Wie im Theater, wo immer betont werden muss, dass man sich gerade im Theater befindet und alles nur ein Spiel ist. Am Ende könnte man noch Respekt vor dem eigenen Werk bekommen.
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