Mit Musik
Der Lyriker und Rapper Kutti MC – Vorsicht mit den Rap-Vorstellungen, wir sind augeblicklich äppis in dr Schwyz, sogar in Bern - alias Jürg Halter setzt zum Doppelschlag an. Kurz vor seinem neuen Album ‚Härzschlag‘ publizierte der Wallstein-Verlag mit geballter Marketing-Macht ein neues Büchlein mit Gedichten, das in der Schweiz ganz wohlwollend aufgenommen wurde.
Nun ist auch so eine kleine Sparte wie der Rap ein Haus mit vielen Wohnungen, und wenn man Bushido im Tiefparterre mit Ausgang zu den Miet-Garagen vermutet, so wird Halter eher der Jugenstil-Wohnung mit Doppeltür zum versteckten schönen Garten zuzuordnen sein, wo im echten Leben die Gymnasiallehrer nachmittags sitzen und über den mit Fehlern durchsetzten Heften den Bleistift sinnierend zwischen den Zähnen klappern lassen, grübelnd über Beruf, Älter werden und die Welt an sich.
Halter ist Baujahr 1980, hat ordentlich in Bern Kunst studiert und schon diverse Lyrikbände publiziert, zuerst bei Amman, zuletzt dann mit Shuntaro Tanikawa das Kettengedicht ‚Sprechendes Wasser‘. Die aktuelle Sammlung ‚Wir fürchten das Ende der Musik‘ umfasst 39 Gedichte, die nicht von jugendlichem Überschwang oder gar Aufbegehren geprägt sind, eine gewisse skeptische Vorsicht hat die jugendlich romantische Zuversicht abgelöst, die immer schon gern ins melancholische changierte.
Wie das vereinnahmende ‚wir‘ im Titel schon ahnen lässt, geht es um eine gemeinsame Befragung oder Betastung der Dinge: wir klopfen, noch kommt ein Klang zurück, wir dichten, treffen das Zauberwort vielleicht nicht genau, aber die Welt singt, zumindest ein bisschen, Sprechgesang halt, nur, reicht das und wie lange klappt es noch?
An Selbstbewußtsein mangelt es einem Bühnenkünstler schwerlich, mit blauem Tuch statt Band verpackt stellt das Buch den dichterischen Solitär auf den schlichten Kiesstrand und weckt große Erwartungen. Aber das Selbstbewußtsein, kombiniert mit der lyrikeigenen Neigung zum Selbstbezug verführt manchmal ins allzu großmächtig Angelegte, etwa beim Text ‚Russisches Licht‘:
Auch in Russland brennt wahrscheinlich irgendwo
ein Licht, von dem niemand etwas weiß,
ein Licht, das die Wahrheit so beleuchtet,
wie keines vor ihm.
Hm. Dieses ‚die Wahrheit ins rechte Licht rücken‘ ist schwer einzulösen, und tatsächlich scheitert der lyrisch erhellende Blick auf das russische Wesen – was dem ganzen ja einen sympathischen Realismus gibt.
In den Augen des Hundes, zwischen den Füßen der Frau,
könnte das Licht, das ich in Russland vermute, aufblitzen,
doch vermeidet das Tier die ganze Fahrt über Augenkontakt.
Das klingt etwas hölzern, so ist aber die Struktur der Texte, sie schielen weder nach Hip noch nach Hop und versuchen ohne gewaltigen lyrischen Überbau einer gewissen elementaren Nachdenklichkeit auf wohlversorgter, gut einleuchtenden Ebenen Ausdruck zu verleihen, und das tun sie in ihrer bedächtigen Art ganz gut, etwa wenn die ‚heilige Familie‘ vor ihren diversen, ermüdenden Unterhaltungsgeräten geschildert wird und am ehesten dort, wo Halter sich ins erzählerische und mit surrealem Humor durchsetzt wagt.
Bei anderen wird die Nabelschau etwas arg penetrant:
Es ist immer drei Uhr morgens hier.
Eine Woche unter lauter Getriebenen,
suche ich nach Konfrontation.
(„7 Tage in der Cuba Bar“). Ob das eine Variation zu Ginsbergs Havanna 1953 sein soll (beginnend mit „The night cafe – 4 am“) bezweifle ich etwas, der Beat, den Ginsbergs Text aus jeder Zeile tönt, vermisst man hier schmerzlich, der Rausch will nicht bleiben: „Was immer ich auch suche, ich treffe überall / bloß auf mich selbst, ernüchternd.“ und so geht’s leider auch dem Leser, gar wenn ein kritischer Ton erprobt wird und es nur noch betulich klingt.
Wir liegen im Bett und finden Schlaf, egal wo,
aber immer in unmittelbarer Nähe einer Atombombe.
Wir wissen, die Sonne bläht sich weiter auf.
(„Grund zum Optimismus“). Ich wurde beim Lesen den Eindruck nicht los, dass auch das Bändchen, so dünn es ist, um einige ganz ordentliche Texte herum mit älteren und schwächeren Arbeiten aufgebläht wurde.
So leicht
So leicht wie eine Plastiktüte,
die eine Straße entlang schwebt,
so leicht wie der Gang einer Frau,
die Treppe zur S-Bahn empor,
so leicht wie die Wolke dort,
die mein Herz in sich trägt,
so leicht wie in diesen Minuten
war mir lange nicht zumut -
als hätt‘ die Schwerkraft mich
eben mal verlassen …
oder bin ich bloß
vom Stuhl gekippt
und hab das Malheur
als einziger noch
nicht mitgekriegt?
Nicht dass ich das jetzt für ein Super – Gedicht halten würde, dafür laufen zu viele wolkenartige Frauen mit sehr schweren Plastiktüten in der Gegend, in der ich wohne, zur U-Bahn runter, aber die Richtung, bei Midlife-Crisis auf das Leichte sehen, die finde ich richtig - und wenn es mal nicht klappt, dann gibt’s ja, wie Halter richtig feststellt, immer noch die Drogen.
Anm. der Redaktion:
Kutti MC & Band – Rebellion Alltag Tournee
10. April, Stäfa, Rössli
19. April, Thun, Café-Bar Mokka
14. Mai, Bern, Turnhalle (PROGR) – Plattentaufe 1
. Vorverkauf
19. Mai, Zürich, Moods – Plattentaufe 2. Vorverkauf
7. Juni, Brugg, Salzhaus
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