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Es macht einen gravierenden Unterschied, ob Männer oder Frauen Sport betreiben, und das nicht nur wegen unterschiedlicher Kraft und Ausdauer. Wir alle kennen Bilder von Beachvolleyballerinnen, sehen als Eyecatcher herangezoomte verlängerte Rücken in knappen Bikinihöschen und rätseln erst beim zweiten Blick über jene Handzeichen, mit denen sich die Sportlerinnen verständigen. Überschriften wie „So sexy ist ...“ kennzeichnen oft die Berichterstattung über Frauen im Sport, als sei es oberste Prämisse weiblicher Sportausübung, dabei schön hübsch und appetitlich auszusehen. Doch auch das Gegenteil wird Thema, wenn trainierten Sportlerinnen, die gängigen Schönheitsidealen nicht entsprechen, mehr oder minder offen ihre Weiblichkeit abgesprochen, manchmal sogar ihr Geschlecht, wie 2009 jenes der südafrikanischen Mittelstreckenläuferin Caster Semenya, angezweifelt wird. Dazu passen Aussagen des nicht unbekannten Sepp Blatter oder anderer, die Fußballerinnen rieten, sich möglichst sexy anzuziehen, um ihr Spiel interessanter zu machen. Und wenn Sportreporter wie der Amerikaner Andy Benoit im 21. Jahrhundert twittern, dass Frauensport generell nicht sehenswert sei, so zeigt das einmal mehr die Miss-, ja Verachtung, die Männer in Schlüsselpositionen Athletinnen gegenüber an den Tag legen, mit immer dem gleichen Grundtenor: Frauensport ist uninteressant, da möchte „Mann“ wenigstens etwas Nettes fürs Auge haben. Anm: Ob Sportreporterinnen den News-Wert und in Folge ihre Berichte weniger sexistisch gewichten würden, kann hier nur vermutet werden, da „Sportreporter“, bis auf wenige Ausnahmen, ein genuin männlicher Beruf zu sein scheint.
Die Lyrikerin Julia Lajta-Novak war selbst viele Jahre Stabhochspringerin und rückt in ihrem Buchdebüt die Frauenleichtathletik in den Mittelpunkt. Sie beschränkt sich dabei nicht auf ihre Disziplin, sondern widmet auch anderen Bereichen der Leichtathletik ein oder mehrere Gedichte: dem Laufen, dem Hürdenlauf und Weitsprung, dem Kugelstoßen, Hammerwerfen und Speerwurf bis hin zur Königinnendisziplin, dem Siebenkampf. Als mäßig sportliche Frau, die schon beim 5km-Lauf schnell an ihre Grenzen kommt, ist für mich interessant: Wie fühlt sich das an? Etwa ein Stabhochsprung, den ich bestimmt niemals probieren werde, hartes körperliches Training über Jahre, ein sportlicher Sieg. Und wird die Lyrikerin ihrem Thema gerecht?
Julia Lajta-Novak hat ihren Gedichten Schattenzeichnungen von Frauen bei der Sportausübung beigesellt, die illustrieren, verdeutlichen, um welchen Bereich der Leichtathletik es sich handelt, und manchmal auch Kommentierungen sind.
Gleich zu Beginn beschreibt sie drei Versuche im Stabhochsprung - zwei misslingen und in jedem Misslingen sind wir ganz bei der Sportlerin, spüren die Anstrengung, das elendslange, obwohl nur Bruchteile von Sekunden währende Warten im Ungewissen, ob denn die Stange nun oben bleiben oder fallen wird, und erst beim dritten Versuch endlich erfahren wir mit ihr das Gelingen:
Dritter Versuch
Dein Top ist hoch verrutscht du
ziehst am Saum (zum dritten Mal) du
siehst die kleine Schramme
blinkt am Knie so
fahnenrot
Was soll das
diese Einstiegs
Höhenangst du
chicken...
Dornen in den Tartan
gerammt Knie hoch
Knie hoch Knie hoch
wirfst du die Bahn zurück
Knie hoch Knie hoch und
stoß
die Faust fährt in den
Scheinwerf Himmel nocheinmal
zieh durch
jetzt lass den Schwung dich rüber
treiben dreh und
zieh zurück und
lass ihn losDas Ende wird sanft
eingekopft und weich
schlägst du die Augen auf
die Fahnen
wehen weiß
Der Weg vom Training zu Erfolgen ist weit und mühevoll. Julia Lajta-Novak erzählt von Lauf-Anfängen, bei denen der „Startblock“ zum „Startbock“ und somit Hindernis wird, das jedes Gelingen schon beim Start verblockt. Sie macht das zähe Einüben von Bewegungsabläufen begreiflich, bis diese endlich wie von selbst funktionieren, erzählt vom täglichen Training bei jedem Wetter, auch dann, wenn Regelschmerzen den Bauch zur Hölle machen, und sie spart Fehler beim Trainieren nicht aus: jene, die „nur“ Seitenstechen, Muskelkater, Krämpfe nach sich ziehen, oder andere, wo es an menschliche Grenzen geht und darüber hinaus, bis zum Erbrechen oder Kreislaufkollaps, aber auch zu Verletzungen und Erkrankungen, die längere Trainingspausen erzwingen. Wir erfahren viel über zwischenmenschliche Interaktion beim Training und im Wettkampf, dem Mit- und Gegeneinander der Athletinnen und den Interventionen des Trainers. Manch freudvolle und innige Momente sind darunter, immer wieder Zweifel, auch „Angst“:
Spröde Taue im Bauch
zum Zerfasern gewunden
die beengten Störgeweide
durchgelähmt
Fallhöhen erwartend
scharf gesinnt ...
Das Thema Feminismus im Sport ist in vielen dieser Gedichte so präsent wie jenes des (Alltags)Machismo, obwohl nur in vier Gedichten Männer vorkommen. Etwa, wenn dem Trainer entfährt „und was läufst du so lahm / bist du frau oder was“. Oder im Gedicht „Hasenjagd“ beim Training ein „blonder Springer“, der seiner Koläuferin zwanzig Meter Vorsprung gewährt, im Ziel zufrieden von sich gibt: „Geht jo glei vü bessa, / wenn ma an Hosn zum jogn hot“.
Julia Lajta-Novak hat etliche ihrer Gedichte herausragenden Sportlerinnen gewidmet und diesen erläuternde biographische Hinweise beigesellt. Fanni Blankers-Koen, mehrfach siegreiche Olympionikin 1948 und Weltrekekordhalterin, musste sich Vorhaltungen gefallen lassen, dass sie sich statt dem Sport eigentlich ihrem Haushalt und den zwei Kindern widmen müsse. Wilma Rudolph, die mit vier Jahren an Kinderlähmung erkrankte, schaffte es trotzdem zur mehrfach erfolgreichen Leichtathletin bei Olympia 1956 und 1960, doch ließ sie sich von ihrer Heimatstadt Clarksville, in Zeiten noch allgegenwärtiger Rassentrennung, erst hochleben, als die Feier eine gleiche und gemeinsame von Schwarz und Weiß war. Mit Gedichten ehrt Lajta-Novak auch zwei herausragende paralympische Sportlerinnen, Tanni Grey-Thompson und Aimee Mullins. Und sie verschweigt eine Schattenseite des Höchstleistungssports nicht, das Doping, durch Aufnahme von Gedichten über die deutsche Siebenkämpferin Birgit Dressel sowie die amerikanische Sprinterin Florence Griffith Joyner, die beide allzu früh nach jahrelangem Anabolika- und Medikamentenmissbrauch starben.
Wir lesen in diesem Buch auch von Erfahrungen jenseits von Bestzeiten, zum Beispiel dem frischen Lachen einer Carolina Klüft, jener siegreichen Siebenkämpferin, die nach harten sportlichen Jahren, als ihr schließlich alles „bis zum ausgebrannten Hals“ stand, nun ihre Freude im anonymen Mittelfeld beim Weitsprung findet. Lajta-Novak vermittelt uns ebenso jenes Hochgefühl beim normalen Laufen, das als Runner’s High manchmal überwältigt, oder das Glück, wenn du frühmorgens rennst, als „Erste auf dem Platz und / mit dem Tag läufst du dich ein / die nackten Zehen in das / sommernasse Gras gefreut ... Bahn frei / Lunge frei / alles gut“.
Und sie hält Erfahrungen bereit, die uns auch ohne Sportausübung wie aus heiterem Himmel, zum Beispiel als „Spasmus noctis“, überfallen können:
Nur kurz die Zehen eingerollt
schon klingelt’s an der Sehne
schnalzen deine Augen an
und fährst empor wo bist du
viel zu späte Nervenbahnen irritiert
verschlllägt’s die Luft dir finsterherb
zu lang zu vvviel zu Dauerlauf
der quergestreifte Wadenball
die Fffaust in deinem Bein muss auf
muss auf muss auf
entsssalzen dehydriert verflucht schnell
aktivier den Antag Antag Gegendings
ssspann um die Wette mit dir selbst
(wo zieht man da? wo ist er?)
beiß zurück dich los besssieg dich
bis das Fremde von dir lässt
Haaa
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Rezension von Julia Lajta-Novaks Federwach das Vorwärts
Ein wunderbarer Gedichtband, der alle Fallhöhen meistert und im besten Sinne bildet. Die Fahnen wehen weiß ...
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