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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Aus dem Inneren des totgesagten Parks

Kai Kauffmann stellt Stefan George, sein Werk und seinen Kreis in einer bündigen und angenehm lesbaren Biographie vor.
Hamburg

Stefan George muß ein denkbar unsympathischer und unzugänglicher Zeitgenosse gewesen sein, selbstherrlich, empfindlich, egozentrisch, die eigenen dichterischen Ziele allen anderen alltäglichen Belangen, selbst denen seiner engsten Freunde, voranstellend. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls nach der Lektüre von Kai Kauffmanns neuer Biographie, die auf prägnante Weise die Persönlichkeit des Dichters erhellt und trotz aller Genauigkeit einen auch für Nichtgermanisten lesbaren Stil bewahrt. Kauffmann will nach eigenem Bekunden gar nicht erst mit anderen, ausführlicheren Annäherungen konkurrieren, die in letzter Zeit erschienen sind, etwa den Darstellungen Georges und seines Kreises von Robert E. Norton (2002) und Thomas Karlauf (2007) oder Ulrich Raulff (2009). Es geht ihm in seiner Biographie nicht um eine minutiöse Auflistung der Ereignisse, sondern um den interpretierenden Entwurf eines Gesamtbildes, das gleichwohl die wesentlichen Daten umfaßt. Dazu gehört, daß Kauffmann sich in separaten Kapiteln immer wieder den Werken zuwendet, um sie in einen Kontext zu bringen, der sie einfachen und vielleicht vorschnellen Vorwürfen beispielsweise der Homoerotik und der Verbreitung protonazistischen Gedankenguts enthebt.

Kauffmann setzt die Gedichte in Verbindung mit den seelischen Spannungen, die aus der von Jugend an gefühlten Andersartigkeit und Einsamkeit des Dichters herrühren, und zeigt, wie diese inneren Verhältnisse auf die Binnenspannung der Gedichte übertragen werden. Gerade in der Frühphase sollte die Dichtung „nur in symbolischer Weise von Ängsten, Wünschen, Begierden und Sehnsüchten“ sprechen, das bedeutet, nach Kauffmann, die „affektiven Energien werden in die ästhetische Spannung der Bilder und Verse umgesetzt“. Deshalb wendet sich Kauffmann auch gegen die von Claude David eingebrachte Meinung, es handele sich etwa bei den „Büchern der Hirten- und Preisgedichte“ um nichts anders als das „feinsinnige Spiel eines Gebildeten“, vielmehr sei es nämlich der „Versuch, die radikale Selbstbezüglichkeit der ersten Gedichtbände dadurch zu mildern, dass die Dichtung zu einem fiktionalen Raum intersubjektiver Beziehungen und [...] zu einem [...] Medium indirekter Kommunikation mit realen Personen gemacht wird“.

George hat früh damit begonnen, ein Netzwerk von Beziehungen zu den europäischen Symbolisten aufzubauen, das dann in der Entstehung eines eigenen Kreises von „Jüngern“ mündete. Kauffmann läßt den vieldiskutierten Aspekt der Knabenliebe weitgehend offen und beschreibt den Kreis als ein Medium, das George dazu diente, seinen Ruf und später auch sein Nachleben als Dichter zu etablieren, und zwar durch einen „hohen Grad der Inszenierung und Kontrolle“. Dabei hatte George nicht nur gegen äußere Widerstände, sondern auch gegen die Heterogenität der Gruppe selbst anzukämpfen, zu der Karl Wolfskehl, Melchior Lechter, Friedrich Wolter und Friedrich Gundolf zählten, die jeder auf eigene Weise um die Anerkennung durch den Meister buhlten. Dieser Kreis sollte George ermöglichen, exemplarisch als „Erzieher der heranwachsenden Jugend“ aufzutreten, und später, als die Gemeinschaft durch die Dichtung „eine poetische Gestalt [erhielt], die sich dann wieder für die Festigung des Kreises — etwa mittels ritueller Lesungen — nutzen ließ“, schärfste Zeit- und Kulturkritik an jenen zu üben, die nicht wie der Zirkel den Lebenssinn durch Kunst und Wissenschaft verkörpert sahen. Es ging ihm letztlich um eine grundlegende Veränderung der Gegenwart im Wilhelminischen Deutschland.

Mehr als nur Vignetten über die Münchner „Kosmiker“ Ludwig Klages und Alfred Schuler, die einige Jahre lang zu den engen Weggefährten gehörten, oder die Andeutungen über den Streit mit Rudolf Borchardt wegen der „Niederschönhausener“ um Wolters wären vielleicht angebracht gewesen, dennoch ergibt sich aus dem Dargestellten allemal, auf welch geschickte Weise George eine, wie man heute sagen würde, PR-Maschinerie zu seinen Gunsten anzuwerfen verstand. Das zeigt George beileibe nicht in bestem Licht, bleibt aber ein interessantes Lehrstück darüber, wie sehr Insistenz und Strategie am Ende zum gewünschten Erfolg führen können. Es erklärt aber umgekehrt nicht die Ergebenheit, mit der viele dem „Meister“ bis an den Rand der Selbstaufgabe gefolgt sind, wozu die Bereitstellung kostenloser Unterkünfte, die Erledigung haushälterischer Aufgaben, Reisevorbereitungen und selbst der Weckdienst für den Mittagsschlafenden gehören, der eine Art Initiationsritus für die „Novizen“ war.

Ein Vorzug von Kauffmanns Biographie ist die Ausgeglichenheit der Argumente. Besonders deutlich wirkt sich dies bei der Schilderung der letzten Lebensjahre aus, in denen George nicht nur seinen Nachlaß regeln, sondern sich auch gegen die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten wehren mußte. Die etwas halbherzigen, nichtsdestoweniger sehr geschickt formulierten Absagen zeigen einen kranken, gebrochenen Mann, der seine Visionen scheitern sieht. Am Ende erhält George vor allem durch Clothilde Schlayer, die ihn in Minusio pflegte, ein menschliches Antlitz, das nicht mehr den gestellten Porträtphotos und Marmorbüsten gleicht: "Man [d.h. George] war mir überaus zuckern [...] und nennt mich nur noch Nippelchen, Nuppchen usw. auch als Ruf und direkte Anrede [...] Der aus Basel hat sich sehr gewundert, wie Man denn auskäme ohne Knaben und es kaum geglaubt als Man sagte, die ,Femininen' machten alles ausgezeichnet, Man hätts ihm aber sehr gerühmt, ob mir nicht ,die Ohren geklungen' hätten." Kauffmann versteht es, den Dichter mit breiten Strichen einem Publikum näher zu bringen, das wohl vor allem seine unsympathischen Züge kennt. Die umsichtige Einbeziehung der Dichtung ist ein Korrektiv — denn ein Egomane kann durchaus ergreifende Verse schreiben, so dieses leise, anmutige „Lied“ aus dem „Siebenten Ring“, das gar nicht nach Georges manchmal schwer erträglichem Pathos tönt:

Kahl reckt der baum
Im winterdunst
Sein frierend leben .
Lass deinen traum
Auf stiller reise
Vor ihm sich heben!
Er dehnt die arme —
Bedenk ihn oft
Mit dieser gunst
Dass er im harme
Dass er im eise
Noch frühling hofft!

Kai Kauffmann
Stefan George
Eine Biographie
Reihe: Castrum Peregrini. Neue Folge (Hg. von Wolfgang Braungart, Ute Oelmann und Ernst Osterkamp); Bd. 08
Wallstein
2014 · 252 Seiten · 24,90 Euro
ISBN:
978-3-8353-1389-7

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