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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Spuren

Eine sehenswerte Ausstellung geht zu Ende

«Two Women Looking at the Bedford Downs Massacre Burning Place» - wenn man nicht weiß, was sich hinter dem Bildtitel tatsächlich verbirgt, denkt man an Zellverbände, Mikrokosmos, Geschehen im Körper, es gibt kleine Kreise, Membranen, einen roten Kreis, ein schwarzer Walkopf mit Augen, naiv gemalt in unspektakulären, aber intensiv irdischen Farben, schwarz, taubengrau, zinnober. Gemalt hat das Bild Paddy Bedford (ca. 1922-2007), ein Gija in Westaustralien, der in seiner Jugend selbst als Viehtreiber in einer traditionsreichen Viehzuchtstation der weißen Einwanderer, in Bedford Downes, für Kost und Logis gearbeitet hat. Als er sich im  Alter der Kunst zuwendet entstehen karge, ikonographische Bilderrätsel, die einen seltsamen, fast kindhaften Zauber ausstrahlen, indem sie aus der Begegnung nur weniger, immer scharf gegeneinander begrenzter Symbole auf Flächen stark kontrastierender Farben leben. Geschichten erzählen sich darin.

Es ist das Jahr 1924. Aborigines vom Stamm der Gija hatten eine längere Hungerszeit hinter sich und jagten und verspeisten einen Bullen unweit der Bedford Down Viehstation südlich von Wyndham in Westaustralien. Diese Aborigines und andere Unbeteiligte ihres Stammes  mehr wurden daraufhin von weißen Siedlern ergriffen und ins Gefängnis gesteckt. Man beschloss eine Strafaktion, ließ die Gruppe 200 km zu Fuß zurück nach Bedford Down ziehen und dort Brennholz schlagen. Dann reichte man ihnen auf Geheiß des Besitzers  der Station ein kräftigendes Mahl, tückischerweise mit Strychnin (seinerzeit üblich im Rattengift) versetzt, an dem sie schließlich unter Krämpfen und Erstickungsqualen elendig krepierten. Schließlich verbrannte man die Leichen mit dem zuvor gesammelten Holz.

In Paddy Bedfords Bild stehen zwei Frauen auf einer Anhöhe und beobachten das Massaker, das sind die Kreise in der schwarzen Zunge. Der große rote Kreis ist das Feuer in dem gerade die Leichen verbrennen. Die Doppelmembran ist in Wahrheit eine Wagenspur und die kleinen schwarzen Kreise sind die Stümpfe der gefällten Bäume. Während das Bild zunächst als naive Komposition von betörender Einfachheit anklopft, verändert sich die Wahrnehmung aufs Extremste, sobald die narrative Komponente offenbar und der ganze Inhalt der Geschichte bekannt wird. Fassungslos steht man vor einer einfachen Wahrheit. Denn die Sache ist einfach, die Fakten sind auf die Leinwand gedrudelt. Mehr zu sagen gibt es nicht. So ist die Welt.

Die gerade zu Ende gehende Ausstellung „Remembering Forward“ im Kölner Ludwig Museum zeigt „exemplarisch neun herausragende Positionen zeitgenössischer indigener Malerei der letzten 40 Jahre, die aus den Wüstenregionen im Zentrum und aus den Kimberley im Nordwesten Australiens stammen.” (Museumstext).

Beispielsweise Emily Kame Kngwarreye (1910-1996). Sie erzeugt mit ihren gepunkteten Großformaten, auf denen sich seltsame Farben durcheinander werfen und clusterhaft pulsieren, organische Tiefen und heftige Räume in denen der Traumgeist Zeremonien feiert, während sich die Farben begegnen. Gelb und Grün antworten auf Pink und Grau. Es gibt Nebeneinander, Hintereinander, Miteinander, Gleichzeitigkeit, alles vermengt sich, ist nie mathematisch begrenzt und doch atomistisch für sich.
Die “Sandhills” von Dorothy Napangardi (geboren zwischen 1952 und 1956) sind, obwohl völlig unbunt, nicht weniger lebendig. Auf einem schwarzem Untergrund sind feine weiße Punkte als Linien aufgetragen, die ineinanderfließen und Wellen erzeugen, Wellen im Sand, wie Emily Joyce Evans, Co-Kuratorin der Ausstellung erklärt, es sind die Furchen, die von den Aborigines mit Stöcken durch den Wüstensand gezogen werden, auf der Suche nach Nahrung. Immer geht es um Spuren, in ihnen stark abstrahierte Reflexionen dessen, was Leben ist, Linien, die sich Punkt nach Punkt entscheiden, treffen, auseinander- oder zueinandertreben.

Die Traumzeit weiß vom Menschen, daß er nur ein vorübergehender Zustand ist. Und daß die Spuren, die er erzeugt, andersdimensional weiterleben in der Welt, die sich nicht beschränkt auf das Sichtbare allein. Das hat nichts mit esoterischem Umherflirren zu tun und undeutlichen spirituellen Suchkonzepten der industrialisierten Welt, sondern sind wirklich elementare Beobachtungen, die sehr genau spiegeln, daß die Welt mit jedem Faktischen auch das Mögliche erweitert und alles Tatsächliche auch ungetane Schatten wirft oder umgekehrt. Alles hat mit Spuren zu tun, jedes Dasein bleibt mit seinen Spuren für immer manifest in der Welt und verwebt sich unauslöschbar ins Gesamte. Die Aborigines sind gewohnt in ihrer Umwelt kleinste Spuren wahrzunehmen, zu lesen, wenn man so will, um zugrundeliegende Geschichten imaginieren zu können, Spuren im Sand, ein angeknickter Zweig, daneben ein Stück zerwühlte rote Erde. Sie wissen, daß sich Weltgeschehen in Spuren niederlegt, in Mustern und Texturen. Daß man Welt lesen kann, wenn man sie lesen kann. Und sie auf ähnliche Weise schildern kann. “When I paint,” sagt Dorothy Napangardi “I think of the old days, as a happy little girl knowing my grandfather’s Dreaming.” Die ganze Ausstellung besteht aus solchen Dreamings. Es ist eine wertvolle Erfahrung sich dem auszusetzen, etwas überträgt sich. Noch Tage später blinkt der zinnoberrote Kreis und bedrängt mit seiner Klarheit jeden anderen Traum.

Noch bis zum 20. März zu sehen sind die Dreamings von Paddy Bedford, Emily Kame Kngwarreye, Queenie Mckenzie, Dorothy Napangardi, Rover Thomas, Ronnie Tjampitjinpa, Clifford Possum Tjalpaltjarri, Tim Leura Tjapaltjarri, Turkey Tolson Tjupurrula sowie Malerei auf Baumrinde von Binyinyuwuy, Tom Djawa, Gunguyuma und Samuel Lipundja aus der Art Gallery of New South Wales.

Kaspar König
Remembering Forward - Malerei der australischen Aborigines seit 1960
Hirmer
2010 · 188 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-777431611

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