Zwischen Spiel und Abgrund
Ausgangspunkt oder Auslöser für den in der Parasitenpresse erschienen, zweisprachigen Band mit Gedichten von Kathrin Schadt und Christian Ingenlath, ist Picassos epochemachendes Gemälde Les Demoiselles d´Avignon aus dem Jahr 1907. Denn Gastón Libertos Bild „Señoritas“ ist eine Hommage an Picassos Demoiselles und auf seine Einladung hin, haben Schadt und Ingenlath jeweils fünf Gedichte verfasst.
Im Grunde aber geht es, wie eigentlich immer bei Kunst, die diesen Namen verdient, um Verbindung, um die Suche nach Wahrheiten, die sich nur im Dialog ergeben. Im Dialog zwischen Bild und Wort, Kunst und Betrachter.
Gastón Libertos Bild „Señoritas“ ist nah am Original von Picasso, die Haltung der fünf Frauen und der Hintergrund sind nahezu identisch geblieben. Liberto hat den Damen allerdings neue Gesichter gegeben und sie mit Requisiten ausgestattet.
Das Unfertige, Unbewältigte von Picassos Demoiselles findet sich bei Liberto übersetzt in eine Szene am Filmset, vielleicht auch weil im Film Bild, Musik und Sprache eine Verbindung eingehen.
Fünf Frauen also, denen jeweils fünf Gedichte gewidmet sind. Gedichte, die sich zwischen der genauen Betrachtung und dem Bewusstsein welche Gefahr es bedeutet, zu genau hinzusehen, bewegen.
„So
Als dürfe man die Dinge nicht zu genau beäugen,
damit sie ihre Sinnlichkeit nicht verlieren.
Als würde eine schön geschwungene Fessel bei längerer Betrachtung
Bloß ein unverschämter Teil der Biologie.
Es könnte heißen, der Anblick hätte in diesem Moment
beträchtlich eingebüßt.
So, wie ein wiederholt laut gesprochenes Wort irgendwann
befremdlich anders klingt.Als ginge was verloren.
Als würde ich kurz verrückt.
Und bliebe es so lange.“
Mit diesem Gedicht von Christian Ingenlath beginnt der Reigen, wobei immer auf ein Gedicht von Ingenlath, inklusive der von Esther Andradi besorgten Übersetzung, ein Gedicht aus Kathrin Schadts Zyklus „(FRÄULEINTRÄUME AUF DEM GRUND DES MEERES) folgt. In Schadts fünfteiligem Zyklus ist von untergegangenen Träumen die Rede, von Lebenswegen, die nicht vollendet, sondern gewaltsam beendet wurden, als der Versuch der Flucht in ein besseres Leben auf dem Boden des Meeres ein jähes Ende fand. Träume, über die sich viel zu früh der Vorhang gesenkt hat. Kathrin Schadt selbst schreibt dazu: „Diese Reihe von Gedichten ist all jenen Frauen gewidmet, denen das Träumen verwehrt bleibt. Die verschleppt, gepeinigt, unterdrückt werden. Die auf dem Grund des Mittelmeeres verloren gingen, auf dem Weg in eine vielversprechende andere Welt. Geflohen aus einer – uns Frauen hier – völlig unbekannten, anderen Welt.“
Schadts Zyklus ist formal gelungen experimentell. Ein identisches Muster liegt dem Zyklus zugrunde und wird von Gedicht zu Gedicht variiert. Optisch bestehen die Zyklen aus einem kompakten Block, der stets mit der Frage beginnt: „wenn sie geht sie wohin?“ Gegen Ende des Gedichtes franst der Text optisch aus, um sich schließlich auf ein Wort zu verjüngen, so dass das Absinken, der Sog nach unten auf den Meeresboden nachgebildet wird.
Ingenlath hingegen orientiert sich stärker an der Bildvorlage, so beschreibt er die Frauen, nimmt die Motive Film und Musik auf und thematisiert in „Odettas Hymne“ explizit den voyeuristischen Blick:
„Der voyeuristische Blick hatte nichts zu suchen
und fiel verwahrlost auf sich zurück.“
Der Wechsel zwischen den Gedichten mit diesen unterschiedlichen Herangehensweisen, erzeugt eine gewisse Reibung, fast kann man das Wechselspiel lesen als einen Dialog zwischen einer Welt, die in Freiheit lebt und einer anderen, die verzweifelt um ein wenig Freiheit kämpft.
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