"Wie und um wen - Ehemann, Exmann, Geliebten, Verräter - würde ich trauern?"
"Es begann mit einem Anruf von Isabella. Sie wollte wissen, wo Christopher war, was mich in die unangenehme Situation brachte, ihr sagen zu müssen, dass ich es nicht wusste." Isabella ist die Schwiegermutter, und die Ich-Erzählerin und Christoph haben sich schon vor einem halben Jahr getrennt. Nur wollte er nicht, dass es bekannt wurde, und so konnte sie Isabella nicht einmal sagen, "dass ich seit fast einem Monat nicht mehr mit ihrem Sohn gesprochen hatte". Denn Christopher ist verschwunden. Ist nach Griechenland gefahren und hat sich seit Tagen nicht mehr gemeldet. Und Isabella besteht darauf, dass seine Frau ihn sucht: "Du weißt, wie stark meine Intuition ist, ich weiß, dass irgendetwas nicht stimmt". Christophers Frau, Übersetzerin von Beruf, gehorcht, fliegt nach Griechenland, in eine abgelegene Region im bergigen Süden, wo Christopher Recherchen über die traditionellen Klageweiber anstellen wollte, für ein Buch über die Trauer. Vor allem aber fährt sie hin, um endlich die Scheidung zu verlangen. Seit einiger Zeit schon wohnt sie bei einem anderen Mann.
Aber sie findet Christopher nicht. In seinem Hotelzimmer liegen noch seine Sachen, und da das Zimmer für den nächsten Tag schon gebucht ist, räumt sie sie weg. Kein Mensch weiß, wo er steckt, nicht die Hotelangestellten Kostas und Maria, auch nicht der Taxifahrer Stefano, der ihn und jetzt auch sie in der Gegend herumfährt. Langsam bekommt sie mit, dass Christopher wohl eine Affäre mit der zwanzigjährigen Maria hatte und dass Stefano in Maria verliebt ist. Heftige Streitszenen erlebt sie in der fast leeren Hotellobby mit, die sie beobachtet und minutiös protokolliert, auch wenn sie des Griechischen nicht mächtig ist. Sie beobachtet den Tonfall, die Interaktionen, Gestik und Mimik. Und schließt daraus auf eine Geschichte einer unerwiderten Liebe zwischen den beiden.
Dann wird ihr berichtet, dass Christopher in einem kleinen Ort in der Nähe mit einer Frau gesehen wurde - das ist nicht ungewöhnlich, denn ihr Mann ist immer schon fremdgegangen: "Unsere Ehe wurde durch das geformt, was Christopher wusste und ich nicht", sagt die Erzählerin einmal lakonisch dazu. Attraktiv war er, ein Meister des Charmes, aber zu einer längeren, aufrichtigen Beziehung war er nicht fähig. Immer neue Frauen mussten es sein, die ihm erliegen, die er schnell ins Bett bekommt, die er schnell auch wieder loswird. Dabei merkt sie auch, wie wenig sie ihn, der "nur Oberfläche" gewesen ist, überhaupt kannte.
Dennoch: Hier in Griechenland spielt die Ich-Erzählerin in Katie Kitamuras Roman "Trennung" die liebende, sich sorgende Ehefrau. Spielt sein Spiel der Lügen und des Betrügens mit, indem sie Maria ihre Sorgen vorspielt und in einem seltsamen Gespräch versucht, sie auszuhorchen - und sich vor allem darüber beklagt, dass Maria, von ihr zum Essen eingeladen, zielsicher die teuersten Gerichte bestellt. Ein anderes Mal fragt sie Stefano nicht direkt, ob er auch ihren Mann zu dieser berühmten Trauerfrau gefahren hat, sondern behauptet, sie würde auch ein Buch über Trauerrituale schreiben - eine sehr durchsichtige Lüge.
Klinisch kühl, emotionslos, analytisch und sezierend lässt Kitamura ihre Heldin die Suche nach dem verschwundenen Ehemann erzählen. Keine Gefühle, keine Romantik, kein elegisches Erinnern, keine Trauer zeigt sie, sondern ist immer bemüht, die Situationen, in denen sie sich befindet oder an die sie denkt, auseinanderzunehmen, ihre Rolle darin zu bestimmen, Zeichen zu deuten. Selbst ihre Trauer um den Verlust der Ehe und Liebe erlebt sie am ehesten in einer anderen Frau, dem Klageweib, einer Tante von Stefano, die diese Kunst noch praktiziert und ihr vorführt, die "dem Leid des Trauernden (...) durch den Körper eines anderen Menschen Ausdruck" verleiht, die zur Stellvertreterin für die eigenen Gefühle wird. Und die Ich-Erzählerin zu der Frage an sich selbst animiert: "Wie und um wen - Ehemann, Exmann, Geliebten, Verräter - würde ich trauern?"
"Trennung" ist ein sehr unterkühlter, aber grade deswegen ungewöhnlicher, spannender Roman, der von Intimität und Untreue erzählt, von den Versuchen, mit einem anderen Menschen zu leben und von dem Graben zwischen den Menschen. Vor allem geht es immer wieder um die Geschichten, mit denen wir unser Leben erfinden, die Konstruktionen, die einen Sinn ergeben sollen, und die doch nur, und in diesem Roman sehr deutlich, eher Vermutungen und Spekulationen sind.
Es ist ein sperriges Buch, in einem sperrigen Stil geschrieben, das vom Leser verlangt, dass er die vermeintlichen Gewissheiten durchschaut, dass er erkennt, dass das alles, Ehe und Liebe vor allem, Fassaden sind, die vor den eigentlichen Menschen stehen, die man dann oft nicht mehr erkennt: „Vielleicht sind Mann und Frau und Ehe nur Wörter, hinter denen sich eine viel fragilere, turbulentere Realität verbirgt, als eine Handvoll Silben oder ein noch so langer Text sie erfassen können.“
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