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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Gelebte Dissidenz II

Über drei Bücher des Ventil-Verlags (Teil II)
Hamburg

Ebenso akut gegenwärtig wie Martin Büssers 2004 geschriebene Ausführungen zum Thema Rechtsrock erscheint auch die Vergangenheit, die in dem von Katja Peglow und Jonas Engelmann gemeinsam herausgegebenen Reader Riot Grrrl Revisited. Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung, der nun in einer erweiterten Auflage veröffentlicht wird, heraufbeschworen wird. Die sich Anfang der 1990er in Reaktion auf den machistischen Tendenzen der US-amerikanischen Hardcore- und Punk formierten szeneeigene Gegenbewegung hat nicht nur ihre Erben in prominenten Sängerinnen wie Beth Ditto gefunden, sondern auch AktivistInnen wie Pussy Riot einerseits und Femen andererseits inspiriert. Während dem russischen Künstlerkollektiv, das durch ein sogenanntes »Punkgebet« in der Christ-Erlöser-Kirche in Moskau Anfang letzten Jahres international für Aufmerksamkeit sorgte, sich vor allem musikalisch in die Tradition von Bands wie Bikini Kill und den britischen Huggy Bear stellten, übernahmen die Femen den Einsatz der eigenen Körperlichkeit von den Riot Grrrls, die sich damals schon Begriffe wie »Slut« auf die nackte Haut schrieben.

Die aggressive, auf Konfrontation bedachte Vorgehensweise der Riot Grrrls unterschied ihre Form des Feminismus deutlich von denen der sogenannten zweiten feministischen Welle, einer Bewegung, die dem Klischee nach in den 1960er und -70er Jahren pfundweise BHs verbrannte, um symbolisch auf die äußeren Unterdrückungsmechanismen hinzuweisen. Einige Riot Grrrls kehrten diese Figur um und förderten auch mal einen gebrauchten Tampon zutage, gaben damit buchstäblich ein Teil ihres Innenlebens preis. Riot Grrrls verlangten so lauthals ihr Recht auf Mitspracherecht, auf künstlerischen und politischen Ausdruck. Riot Grrrl klagte nicht nur die Strukturen an, sondern wollte sich einmischen, die Verhältnisse ändern. Dass die Riot Grrrls nicht die zähnefletschende Destruktivität an den Tag legten, den das Wort »grrrl« phonetisch nahelegt, wird im Verlaufe dieses mehr als exzellenten Readers schnell deutlich. Das ausschlaggebende Manifest »Riot Grrrl ist…« zeugt zwar von viel Wut auf die damals – 1991 erschien es im Fanzine Bikini Kill – herrschenden Verhältnisse, richtet sich aber nicht nur gegen Misogynie, sondern peilt auch die anderen Übel an, die die kapitalistischen Gesellschaften prägen: Rassismus, Antisemitismus, Speziezismus, Diskriminierung aufgrund von Alter, Sexualität oder Gewicht und so weiter und so fort. Das erklärte Ziel? Eine gesellschaftliches Miteinander, dass ohne Ausgrenzung und Unterdrückung auskommt.

Kathleen Hanna mit Bikini Kill (1996), Wikipedia

Wie die Riot Grrrls ihre Absichten erst von der Keimzelle der Bewegung, der Stadt Olympia im Bundesstaat Washington, später auch aus anderen US-Städten und Großbritannien, aus erreichen wollten, darüber berichten vor allem die dem Teil »Revolution« zugeordneten Essays. Durch die exzellente historische Aufarbeitung vor allem Julia Downes schaffen diese eine mehr als solide Grundlage zum Verständnis von Riot Grrrl. Über eine Vielzahl von Aufsätzen, Interviews und persönlichen Erfahrungsberichten wird im folgenden, »Girl Style« betitelten, Teil die Dynamik von Selbstermächtigung durch Selbstaneignung en detail und lebensnah nachvollzogen, bevor in »Now« die Grrretchenfrage gestellt wird, die Maren Volkmann in ihrem Aufsatz »Riot Grrrl is not dead« so pointiert auf den Punkt bringt: »Als Bewegung ist Riot Grrrl tot, doch was ist mit den Ideen passiert? Wurden sie mit der Bewegung begraben oder zirkulieren sie noch? « Eine allzu euphorische Antwort wäre trotz der Beiträge zu den immer noch regelmäßig stattfindenden sogenannten Ladyfesten, zu Spoken-Word-Veranstaltungen mit feministischem Schwerpunkt und den Girls Rock Camps angesichts der sozialen Realität zwar nicht wirklich angemessen. Dass der Spirit des Riot Grrrl sowohl die musikalische Enklave des Punkrocks verlassen als auch die Bewegung als solche überlebt hat, dürfte aber sicher sein.

Dass Riot Grrrl aller hehren Ziele und notwendigen Beweggründe zum Trotz auch seine Schattenseiten hatte, lässt das ebenso vielseitige wie –schichtige Kompendium von Texten zum Thema jedoch nicht außer Acht. Die Journalistin Jessica Hopper berichtet beispielsweise von Anfeindungen, die ihr aus der Szene entgegenschlugen und Mimi Thi Nguyen spricht bereits mit dem Titel ihres Aufsatzes »Race & Riot. Über ein problematisches Verhältnis« einen der größten Schwachpunkte der aus der weißen Mittelschicht entsprungenen Bewegung an. Dass abgesehen von Vojin Saša Vukaniovićs Erfahrungsbericht als Mann in der Riot Grrrl-Szene und den Beiträgen von Jonas Engelmann und Martin Büsser keine Männer an dieser Anthologie beteiligt sind, ist letztlich genauso bezeichnend wie die Erfahrungsberichte von Kerstin und Sandra Grether in der eigentlich als linksorientiert bekannten Hamburger Schule oder Julia Gudzents ernüchternder Erzählung vom Alltagssexismus in der Independent-Musikszene. Dagegen verblassen all die Worte über Selbstermächtigung und neugefundenen Mut durch die Auseinandersetzung mit Riot Grrrl zwar nicht, fest steht aber eines: Der Kampf geht weiter, er wird aber nicht mehr nur mit E-Gitarren, Bässen und Drums geführt, sondern mittlerweile auch mit Beats, Performances und Literatur.

Die Vergangenheit, die mit diesem essentiellen Reader heraufbeschworen wird, sie ist akut gegenwärtig. Nicht nur in der Punkszene, wie erst kürzlich das Netzwerk female:pressure mit einer deprimierenden Statistik über den strukturellen Sexismus in der elektronischen Musik belegte- Und während einige Mitglieder des Kollektivs Pussy Riot mittlerweile für ihren Aktionismus im Gefängnis sitzen, ziehen die Femen immer mehr mediale Aufmerksamkeit mit sich – und begehen dabei einige der Fehler, die auch den Riot Grrrls nicht fern lagen. Sie ignorieren kulturelle Unterschiede und ihre eigene Herkunft aus der weißen Mittelschicht und verteufeln wie mit einer kürzlich in Hamburg stattfindenden Aktion Sexarbeit und üben sich damit letztlich in genau der Art Bevormundung, gegen die die Riot Grrrls angingen. Riot Grrrl Revisited ist damit nicht nur ein Buch, das die (pop-)kulturelle und politische Relevanz einer subkulturellen Bewegung nachzeichnet und analysiert, sondern gleichsam als kritische Reflexion und Aufruf zugleich gelesen werden kann. Als Aufruf an Frauen – junge wie alte –, Trans* und natürlich auch Männer, den hegemonialen Patriarchalismus in der Gesamtgesellschaft genauso wenig hinzunehmen wie den in der eigenen Subkultur. Sondern selbst aktiv zu werden – ob nun mit einer Gitarre, einem Synthesizer, Manifesten oder politischen Aktionen, das spielt dabei eigentlich keine Rolle. Riot Grrrl ist eben nicht nur notwendig, sondern kann auch viele Gesichter haben, das beweist dieser Reader eindrucksvoll.

Katja Peglow (Hg.) · Jonas Engelmann (Hg.)
Riot Grrrl Revisited
Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung
Ventil
2013 · 216 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-931555-47-4

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