Fünf Hände kommen nicht abhanden
Der Mensch, und der kunst- und literaturinteressierte insbesondere, lebt von Entdeckungen und deren Folgen - ohne den geistigen Input droht die seelische Verkrüppelung. Gleiches gilt jedoch auch für die andere Richtung, für den kreativen Output, ohne den ein Künstler zu platzen droht. Bei dem 1951 im österreichischen Graz geborenen Schriftsteller und Filmemacher Knut Schaflinger ist dies nicht zu befürchten. Mit zahlreichen Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien sowie großer Präsenz bei Internetforen ist er diesbezüglich gut aufgestellt. Mit "Abhanden" ist nun sein fünfter Lyrikband erschienen, nach "Scherben und Mosaike" bereits der zweite in der Edition Thaleia.
Die Anerkennung, die Schaflingers Lyrik vielerorts erfährt, lässt sich relativ leicht erklären: Er weiß augenscheinlich um den Lauf der Dinge und um die Tatsache, dass es nur zu oft die goldene Mitte ist, die ins Schwarze trifft. Wundervollerweise bekommt er diese Gratwanderung hin, ohne in eine Richtung buckeln zu müssen. Seine Gedichte kommen scheinbar deutlich ums Eck, um erst ein wenig später ihren mehrdeutigen Reiz zu entfalten – andererseits fehlt ihnen jene übertriebene Verkopftheit, die dem gemeinen und vor allem dem gelegentlichen Lyrikleser häufig die Meinung nahe legt, ja geradezu aufzwingt, der Dichter wisse und verstünde selbst nicht, was er da schreibe. Knut Schaflinger schafft es, alltäglicher Sprache jenen lyrischen Ton abzuringen, der seine Gedichte so besonders macht. Es sind die kleinen Dinge, die Feinheiten, die den Dichter als guten und genauen Beobachter ausweisen. In wenigen Zeilen drückt er auf den Auslöser, bannt Nebensächlichkeiten, um sie mit leichter Hand als Hauptattraktion zu verkaufen. Der simple Vorgang des Brotbackens gleitet bei ihm als geographische Rezeptur aufs Blatt, beschreibt das Backblech als Strand, hält den Terminus durch, um in den letzten Zeilen naschende Kinderhände als Krebsscheren zupacken zu lassen. Ein Arbeitstag im Kleingarten gerät ihm zur Reise in die Kindheit (... // Würmer geben keinen Laut mehr von sich sie teilen ihr Schicksal // mit alten Zeitungen die du vorsichtig zerrissen hast / um sie statt Socken / über die nackten Füße zu wickeln von Kindesbeinen an trugst / du eine Schwärze im Schuh // ...), ein Einpark-Training, welches nicht nur die eine oder andere Fahrstunde einzusparen vermochte, sondern auch ein wunderbares Gedicht hinterlassen hat (Geübt haben / wir das Einparken nachts erst // auf leeren Parkplätzen die Zeichnung der Stell / Flächen weiße Linien ein offenes / Gebiß schiebst / du es rückwärts springen die Pferde // Stärken ins Maul dein rotes Auto wäre tagsüber sichtbar wie Zahn // Fleischbluten sagtest du / ...).
Knut Schaflinger lässt den Gedichten dieses Bandes, von denen einige bereits in Zeitschriften erschienen sind und ihm im Jahr 2005 zudem den Lyrikpreis Feldkirch eingebracht haben, formal alle erdenklichen Freiräume. Auf Interpunktion wird vollständig verzichtet, Regiment führt ein grobes Schema in Zeile und Strophe, welches Schaflinger als einen Meister des Enjambements zeigt, dem es gelingt, den Leser durch den Kunstgriff des lyrischen Zeilensprungs in Spannung zu halten und die Neugier auf die jeweils nächste Zeile zu schüren. "Abhanden" hat Schaflinger seinen neuen, in fünf Kapitel unterteilten Gedichtband betitelt – dabei ist alles vorhanden. Starke Bilder, die Düfte und in Fußsohlen eingetretene Tannennadeln spürbar, erlebbar machen.
Eine Hand voll Poesie kann den Weg zwischen zwei Buchdeckel bereits mehr als lohnen, doch Schaflinger reicht seinen Lesern nicht nur eine, sondern gleich fünf Hände – freiwillig und ohne den Anschein, das Publikum mit dem kleinen Finger abspeisen zu wollen. Das ist ihm hoch anzurechnen.
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