Kritik

Einer gegen alle

Lee Child ist mit seinen Superheldenthriller sehr erfolgreich. Mit „Wespennest“ setzt er seine Jack Reacher-Reihe fort – und noch eins drauf.
Hamburg

Außerhalb des Spielfilms ist das Superhelden-Genre so ziemlich tot, toter geht’s kaum noch, auch wenn die Gründe für ihre Entstehung nicht aufgehoben sind: In einer komplexen und zugleich komplizierten Gesellschaft, in der es auf die Einzelnen kaum noch anzukommen scheint, ist ein wenig Kompensation ganz recht. Der Glaube an die persönlichen Fähigkeiten bekommt tagtäglich seine Nasenstüber, da ist es schon ganz angenehm darauf zu hoffen, dass es so etwas wie Wirkung für einzelne gibt. Und sei es über den Umweg, dass man ihnen übermenschliche Kräfte zubilligt.

Nun nutzt sich ein solcher Stoff auf Dauer ein bisschen ab, was erklärt, warum nach dem mittleren Helden der Superheld und nach dem Superheld der allein kämpfende Held folgt (also der Rambo-Typus, der dann zwanzig Jahre Zeit hatte, sich bis zur heutigen Reife zu entwickeln).

Im Krimi geht der nun eine denkwürdige Verbindung mit jenen Antihelden ein, die aus dem hard boiled-Krimi stammen: jene heruntergekommenen Typen, die mit Mühe ihr soziales Leben aufrecht erhalten, späte Erben des allversorgenden Familienvaters, der einsehen musste, dass die Moderne mit seiner Familie und seiner Stellung nicht eben pfleglich umgegangen ist. Da bleibt nur die ironische Selbstaufgabe mit Alkohol und anderem.

Lee Childs Jack Reacher-Romane setzen auf diesen Typus auf, geben ihm aber eine Ausstattung mit, die ihn aus der Masse der Durchschnittstypen heraushebt. Kombiniert mit seiner Position als underdog ist das ein sehr taugliches Konzept, um eine Gesellschaft, in der so vieles schief geht, einmal so richtig aufzumischen.

Dafür gibt es Vorbilder, „China Town“ beispielsweise, und viele mehr, die bis ins Western-Sujet reichen. Und sie spielen allesamt mit der Spannung, die aus der Konfrontation eines Underdogs, der heimisch oder importiert sein darf, mit einer lokalen Oligarchie entsteht, deren absoluter Machtanspruch zu brechen ist.

Es ist erstaunlich, welche Kontinuität in der US-amerikanischen Literatur und Kultur zu finden ist, die hier anscheinend ihr Ur-Trauma zu bearbeiten versucht: Die der Landnahme durch die wenigen Privilegierten, die die Nachstoßenden zu dominieren versuchen. Ein Muster, das dem egalitären Anspruch ja auch der amerikanischen Kultur massiv entgegensteht. Die Dominanz der Oligarchie muss gebrochen werden, damit der Gleichheitsanspruch aller gewahrt bleibt.

Dass es dafür einen extraordinären Einzelnen braucht, ist verkraftbar, zumal der ja anschließend wieder verschwindet, um die kleine Gemeinschaft, die just wieder in den Urzustand der Gleichheit aller zurückversetzt worden ist, sich wieder sich selbst zu überlassen.

Krimis, die auf diese Art gemacht sind, sind deshalb nicht als realistische Geschichten zu lesen, sondern als hochaufgeladene symbolische Geschichten, in denen Grundelemente der modernen Gesellschaft abgehandelt werden.

Es geht um ihnen um Gerechtigkeit und um Recht, um Vergeltung, um Zivilcourage, um Macht und Herrschaft, Gewalt und Grausamkeit, vielleicht auch um das Böse, aber auch darum, wie eine spezifische Konstellation zu einem gewünschten Ende gebracht werden kann.

Das freilich ist die andere Seite der Romane Lee Childs: Sie sind nicht nur Mysterienspiele der Gerechtigkeit, sondern auch Experimentalanordnungen, in denen Vorgänge unter gesetzten Prämissen durchgespielt werden.

In diesem Fall?

Jack Reacher gerät bei der Durchreise in ein Nest, in dem anscheinend eine einzige Familie, die Duncans, den Rest der Gegend tyrannisiert. Als Brechertruppe halten sich die Duncans zehn ehemalige Footballer, die zu etwas anderem nicht mehr tauglich sind.

Reacher zerschlägt dem Sohn der Familie die Nase, weil der anscheinend seine Frau verprügelt hat, und setzt damit eine Kette von Vorgängen in Gang, an deren Ende die Herrschaft der Duncans fällt und die Aufklärung eines mittlerweile 25 Jahre alten steht. Damit wird nichts verraten, denn dazu gibt es keine Alternative (was dem Krimi bei aller Qualität ein wenig Brisanz nimmt).

Reacher ist in dieser sich rasch eskalierenden Ereigniskette ausschließlich auf sich und seine Fähigkeiten gestellt (was man als Behauptung des Subjekts verstehen kann), die allerdings extraordinär sind (was als Behauptung von Übermacht gelten kann, Reacher ist beim Militär ausgebildet worden, was anscheinend mehr bedeutet als ein Pflichtjahr bei der Bundeswehr).

Seine Gegner sind stark und haben mächtige Verbündete, während auf Reachers Seite eigentlich niemand, später nur ein versoffener Arzt, dessen Frau und eine Sechzigjährige Frau stehen. Also keine Chance, die Reacher nutzt.

Es wundert nicht, dass solche Romane erfolgreich sind, zumal Child zweifelsohne ein guter Krimihandwerker ist. Er bedient sein Publikum souverän und mit der nötigen Qualität, sein Plot ist sauber (was für einen US-Krimis, auch eines englischen Autors, fast selbstverständlich ist), der Stil ist gediegen, der Fall nicht absurd, sondern plausibel (wenn auch grauslich). Wer so was lobt, lobt die Qualität des Genres, wer so was kritisiert, dem ist nicht zu widersprechen. Wer so was liest, kommt aber auf seine Kosten. Und wer so was ernst nimmt, braucht ein bisschen Therapie.

Lee Child
Wespennest
Ein Jack-Reacher-Roman
Aus dem Englischen von Wulf Bergner
Blanvalet bei Randomhouse
2014 · 448 Seiten · 19,99 Euro
ISBN:
978-3-7645-0419-9

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