Unterwegs ins verstellte Licht
Es hätte nicht eines recht allgemein gehaltenen Vorsatzes von Iso Camartin und eines stellenweise etwas zu bemüht Aufmerksamkeit heischenden Nachworts von Helwig Brunner bedurft, um die Qualitäten der Lyrik von Lisa Elsässer sichtbar zu machen. Für ihren dritten Band hat sie Gedichte zusammengestellt, die vielfach das Sprachmaterial nutzen, aber darüber die Bild- und Anschaulichkeit nicht außer Acht lassen. Gerade diese subtile Kombination, die allemal keine Gegenüberstellung ist, schafft Abwechslung, erhöht die Binnenspannung und verknüpft verschiedene Ausprägungen ein und derselben Stimme miteinander.
Ein wunderbares Beispiel für die eher spielerische (oder besser gesagt: an der Oberfläche spielerisch scheinende) Faktur ist das Gedicht „türtortur“. Nach dem schnurrigen, durch den Titel evozierten Beginn angesichts einer sich öffnenden Tür entfaltet es allmählich seinen Hintersinn, um dann sogar in eine philosophische Betrachtung zu münden: „[...] bin ich immer / betört wenn sich etwas schliesst bin immer / vorsichtig achtsam die offenheit ist glas“. Es versteht sich von selbst, daß Sprache hier nicht allein um ihres Klanges willen bemüht wird, denn sie ist — wie auch die gelegentliche graphische Unterteilung in zwei Kolonnen — ein probates Mittel, um das Unerwartete herauszufordern. Charakteristisch ist dabei der rasche Wechsel der Bildebenen über eine sprachliche Zündung:
dir schreibe ich von hand
ich meide die maschine
ich mähe die gedanken bis auf
den grund sie wachsen so schnell
wieder in die nacht
Viele Gedichte verzichten jedoch auf solche sprachliche Initialzündung und öffnen sich zunächst der Beobachtung, dem Beschreiben, wobei auch hier ein exquisit geschliffener Ton angeschlagen wird, eine in kleinste syntaktische Einheiten zerlegte Sprache, die, nahe am Stammeln, womöglich Verstummen, mit tiefer Bedeutung aufgeladen ist. Bevorzugte Sujets stellen Alltagssituationen und die Phänomene der Natur dar, die sich im lyrischen Prozeß in Chiffren verwandeln. Das klingt mal verhalten nachdenklich, mal prachtvoll nüchtern, wie etwa die kristallklare Hymne des titellosen Gedichts, das mit den Zeilen anhebt: „wird zum tagesende / die fledermaus übers wasser // schwirren // wird unser tag ein / ende nehmen in gleicher // leichtigkeit“. Andere Texte wiederum widmen sich der Erinnerung, dem Sterben, der Liebe. Der naheliegenden Vermutung, bei diesen für Dichtung universellen Themen ginge es traditionell zuwege, widerspricht vehement das bewegende Gedicht „während unten“, das Krankheit und Tod auf originelle Weise ein Schnippchen schlägt. In allem bleibt Elsässer, trotz des Sprachornaments, immer ganz unprätentiös, sie gewinnt selbst kleinsten, unscheinbarsten Begebnissen eine weitreichende Dimension ab:
gepachtet bloss wieder den stuhl
ja nicht einmal seinen sitz nur
den rücken nicht den ganzen nur
eine strebe nein den schatten
dieser strebe den halben schatten
der mit der sonne ging die am stuhl
vorbeizog wie eine vollendung
unseres eigenen verlaufs
In dieser quicken Kombination von Sprachresonanz und dem, was man mangels eines treffenderen Begriffs wohl am besten „Aussage“ nennt, kommt weder der eine noch der andere Aspekt zu kurz. Da war doch was? Ja, allerdings, nämlich ein herausforderndes Geheimnis, das Lisa Elsässer sprachmächtig umkreist, unterwegs ins verstellte Licht („ein kleiner schritt zurück // ins leben das verstellte / licht“). Denn das Bemühen um Klarheit bedeutet nicht, man könne einen Inhalt simpel paraphrasieren. Das letzte Gedicht des Bandes drückt in Form einer Anrufung, eines dringlichen Imperativs, den Wunsch aus, auch einmal die letzte syntaktische Fessel noch abzustreifen, dafür werden Leben und Gedicht — unentbehrliche Einheit für große Texte — in Deckung gebracht: „lies mich und das gedicht / ohne worte nimm mich“.
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