Die Begehung der Welt auf eigener Route
Die Spannung, aus der heraus Gedichte erzeugt werden, ist die Aufladung in den intrapersonalen Fragestellungen. Bei dem einen sind genau jene Begriffe aufgeladen und elektrisieren sich, die bei dem anderen noch links in der Ecke liegen. Dem einen geht es um Gott und die Welt und dem anderen um Ausschaltung des Sinns (des alltäglichen, herkömmlichen, des verallgemeinerten oder überhaupt jeglichen Sinns). Um mehr geht es eigentlich nicht. Mit der Sprache sich in den eigenen spannenden, elektrisierten Bereichen bewegen. Was dem einen ein Thriller, ist dem anderen ein lahmer Gaul. Es gibt Moden, die mal das eine, dann das andere präferieren, und immer Zeitgeschmäcklerisches, Lautsprache mit Apostrophen, wenn die Schreibenden angesagte, gefundene Formen assimilieren und als Poster vor sich hertragen. Dann gibt es auch Zeitloses, wenn jemand eine Form gefunden hat, die seine Aufladung aufnimmt und in den elektrischen Reaktionsfeldern der Sprache aufhebt als Gedicht auch jenseits der subjektiven Einwegspiegel.
„Religiös überfrachtet“ urteilt Walter Fabian Schmidt in seiner lesenswerten Kritik im Poetenladen über Ludwig Steinherrs neuen Gedichtband „Kometenjagd“ und kritisiert damit die Fracht und nicht den Transport, weil Steinherr eine andere als die übliche und wirklich ganz eigene Ladung an Bord hat. Tatsächlich hat Steinherr über Hegel und Quine promoviert und ist Lehrbeauftragter für Philosophie. In ihm haben wir den Glücksfall, daß ein Lyriker das Spiel der Sprache in Gegenden ansiedelt, die sich darbieten, sobald das Eitle und Selbstbezogene der menschengemachten Wunderwelt sich ersetzt durch das Eigene des Ewigen. Begreift man den Umgang mit der Sprache nicht als Bastelstunde, sondern als ernste Begehung der Welt (und das ist die Sprache, weil sie sich abmüht aus dem Unsagbaren das Sagbare zu machen – die Begehung der Welt findet in den Begriffen statt), wird das Gedicht zu einem Sofortbild aus den Landschaften entlang dieser Strecke. Bei Steinherr führt die Route in die Transzendenz und daran ist nichts, aber auch gar nichts falsch oder unzeitgemäß, sondern alles ehrlich und ungespielt und richtig.
Es gilt heute als unschick Erkenntnis mit der Lyrik zu verweben, weil man zurecht die Nase voll hat von „beladener“ Lyrik und weil einem sowieso alle Wahrheiten davonspringen wie aufgeschreckte Grillen, sobald man ihnen nähertreten will, aber bei Steinherr sind die Erkenntnisse nicht der Endzweck, sondern der Auslöser des Gedichtes. Er bringt sie zum Vibrieren, er schmeißt sie in einen Teilchenbeschleuniger und zerdehnt sie in einem schwarzen Loch. Behutsam hört er in die „Stecknadelstille des Gedichtes“. Das Erkennen löst sich aus der Begrifflichkeit des Denkens und wird wieder fühlbar, hörbar, sensuell erfaßbar. Bilder sind „Simulationen des Urknalls“. Seine Begrifflichkeit ist keine abgehoben von der Welt getrennt gedachte, sondern eine erotisch mit ihr verquickte und in ihr begründete. Daß Steinherr ein gläubiger Mensch ist, der die Bezugsgrößen der Welt eher demütig ansieht und das Wunder ihres essentiellen Geschehens für sich religiös begründet, empfinde ich in keinem einzigen der Gedichte als Mangel, sondern als Reichtum – hier redet mal einer auch vom Ganzen, nicht nur vom treuen Dackel „Ich“. Hier schickt einer seinen Text in und durch die Eingeweide der Welt und nicht immer nur in und durch die hoffärtige Mühle des Selbst. Und gewinnt Gedichte dabei, die den Moment nach anderen Tiefen aushorchen statt einfache Verhältnisse mit komplizierten Bezügen zu versehen. Man darf es nicht mißverstehen: Steinherr schreibt nicht von einem anderen, sondern von demselben Moment, nur sieht er Licht anderer Facetten. Und natürlich ist es das Licht, das von einem zum anderen springt und alles vernetzt und verbindet und auch in Steinherrs Gedichten eine übergeordnete Rolle spielt. Das hat mit Esoterik nichts zu tun, eher mit Physik, wie sie wirklich ist.
Soviel zur „Fracht“ und zu „überfrachtet“. Schaut man sich die Gedichte der Form nach an, so gibt es kaum jemanden in Deutschland, der ähnlich wunderbare Drehungen und Wendungen zur Pointe so klar und gekonnt schreiben kann und dazu nichts weiter braucht als einen Moment der Stille und Betrachtung. Eine reife und überaus wohltuende Stimme der deutschen Lyrik.
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