How the West was won
Der Untertitel von "Catfish" - "Ein Bob Dylan Roman" - ist mehr als eine umstandslose Themenbezeichnung. Vielmehr ist er offenbar intendiert als Hinweis, dass das Buch, so wie auch Werk und öffentliche Persona von Bob Dylan, mehrere disparate Schichten aufweist und dementsprechend mehrdeutig rezipiert werden kann bzw. muss.
"Catfish" lässt sich erstens lesen als ganz klassischer und ganz klassisch aufgebauter Roman: Ein Subjekt erfährt inneres Wachstum oder zumindest innere Veränderungen anhand einer äusseren Handlung, und wir, die Leser, erfahren bei dieser Gelegenheit manches über die Welt. Alles dieses ist hier deutlich sichtbar und en detail entlang der Vorlage gestrickt, von der Joseph Campbell in "The Hero with a thousand Faces" schreibt.
Zweitens kommt der Text daher wie ein knapp 250 Seiten langer Feuilletonbeitrag, oder besser: Wie die Buchversion einer losen Serie von zwanzig solcher Beiträge nebst umfangreichem Anhang. Sowohl die Art, wie Schauplätze und Personal uns beschrieben werden, als auch die zahlreichen reflexiven Passagen und Exkurse sind zum einen massiv mit Recherche unterfüttert, zum anderen nie komplizierter als unbedingt nötig - eben genau so, wie wir das aus den besseren Feuilletons und Reportagen kennen. Auch weisen die einzelnen Kapitel, was ihren Aufbau aus den genannten Elementen betrifft, eine gewisse Gleichförmigkeit auf, die auf das Training des Autors im Umgang mit Zeichenzahl-Einschränkungen und Deadlines hinweisen - oder es, im Dienst der Roman-Ebene des Buchs, absichtsvoll ausstellen.
Drittens arbeitet Brüggemeyer - das ist mit dem Hinweis auf die Reportageform schon angedeutet - mit der Illusion des Authentischen, "echt selber erlebten". Diesen Gestus der Kolportage hält der Text bis zum Schluss aufrecht. Wäre da nicht der Anhang und der Hinweis auf der zweiten Titelseite
" (...) Alle hier im Buch beschriebenen Begegnungen sind frei erfunden. Einzelne Zitate aus frei verfügbaren Interviews mit Bob Dylan sowie Songzeilen aus seinen Liedern hat der Autor für dieses fiktionale Werk verwendet, (...)"
man bliebe auf die Inhaltsebene des Bob Dylan Romans verwiesen, um ihn als einen solchen zu erkennen. Ich war in dieser Hinsicht beim Lesen begünstigt: Ich hatte den Warnhinweis tatsächlich übersehen.
Das hieß für mich, dass ich "Catfish" lange für einen im Grunde journalistisch-essayistischen Text in der Tradition von Lester Bangs halten konnte und mich bloß hin und wieder über besonders literarisch verdichtete Konstellationen von Motiv, Thema und wörtlicher Rede wunderte. "Keiner redet so", dachte ich etwa, "Brüggemeyer verschanzt sich hinter der Bezeichnung 'Roman', um die Leute, über die er in journalistischem Kontext schreibt, druckreif reden lassen zu können, und um guten Gewissens alles aus den Situationen rauszuschneiden, was seiner Intention zuwiderläuft. Der Kerl lügt sich und uns die Welt so zurecht, dass er hübsch drüber schreiben kann."
Aber genau um dieses Missverhältnis zwischen Wirklichkeit und Repräsentation geht es in "Catfish" - was ich freilich erst erkennen konnte, als ich an die Textstelle kam, da dem Protagonisten Brüggemeyer bei seinen Recherchen in New York Figuren aus dem Universum der Watchmen-Comics über den Weg laufen. Das war nun eindeutig nicht mehr ein schnurrig-surreales Detail in einem inhaltlich im Grunde vertrauenswürdigen, wenn auch nach Maßgabe der feuilletonistischen Geschmackspolizei zusammengestrichenen und im Nachhinein überformten Bericht - nein, da war Fiktionalität und intertextuelle Referentialität des Texts sichtbar ausgestellt. Es gibt viele solche Stellen in "Catfish", und dass es gerade die Watchmen-Referenz war, die mich mit der Nase auf die Natur des "Bob Dylan Romans" stieß, sagt mehr über mich als über die genannte Textstelle. Eine viel klarere, weniger verspielte dieser Stellen kommt viel später - wie man bei Filmen sagen würde, nach dem zweiten Plot-Point:
"Ich fühlte mich wie Larry Sloman, der durch die Regie des Zufalls Mitte der Siebziger mit Bob Dylan auf Tour gehen und für den Rolling Stone darüber schreiben durfte. (...) Heutzutage trifft man Musiker meist nur noch zu halbstündigen Interviews in irgendwelchen Hotelzimmern, bekommt ein paar gelangweilte Antworten und muss sich die Magie und die Mythen, die die Musik umgeben, anderweitig besorgen oder selbst ausdenken, wenn man seine Leser nicht langweilen will."
Es geht also in "Catfish" um das Verhältnis der Wirklichkeit zu ihrer (textlichen und künstlerischen) Repräsentation; der "echten", "vitalen" Musikszenen zu jener Unterhaltungsindustrie, der Autor wie Protagonist angehören; der Person Dylan zu der popkulturgeschichtlichen Multifunktionschiffre Dylan. Und es geht darum, wie ein aufgeweckter, grundguter Kerl wie dieser Musikredakteur Maik Brüggermeyer (Protagonist, nicht Autor) damit umgeht, dass er, wenn es so über Musik schreibt, wie er eben (an z.B. dem fiktionalen Dokument, das wir als Roman lesen) schreibt, an der öffentlichen und gewissermaßen politischen Zurichtung, Vereinfachung, Verknappung des lebendigen sozialen Phänomens Musik mitwirkt.
Dieses Thema wird, wie schon gesagt, im Rahmen einer Recherche-Story in vier Teilen entwickelt: Der Protagonist macht sich im ersten Teil auf, um Bob Dylan zu finden und ihn persönlich über den Song "Catfish" zu befragen. Bei seiner Initiation ins Dylan-Fantum als Halbwüchsiger war ihm die Hauptfigur von "Catfish" geschildert worden als eine dieser überlebensgrossen Gaunerfiguren, wie sie in Dylans Texten gern vorkommen. Der Song aber, den er erst Jahre später, schon als Redakteur, zu hören bekam, handelt von etwas ganz Anderem. (Aha, denkt sich der gewitzte Leser - das rätselhafte Detail in der Aussenwelt steht ein für die unvollendete Initiation des Subjekts in die eigene Kultur - die Lösung des Rätsels von "Catfish" bedarf ihrer Vollendung, und also der Reise ins Land der Mythen und Heroen.) In New Yorks Kneipen - Teil zwei - trifft er Dylan schließlich, und nach mehreren Gesprächen und "Prüfungen" darf er ihm in eine (natürlich mehrfach symbolisch codierte) Kleinstadt folgen, zu einem Wanderzirkus, wo er wiederum einige Tage mit dem Sänger verbringt - Teil drei - bevor der Kontakt abreisst und der Redakteur nach Deutschland zurückfliegt. Die Kulissen und Dialoge in diesen beiden Hauptteilen des Buchs - New York und Wanderzirkus - sind dabei durchgängig aus (vor allem) Dylan-Zitaten zusammenmontiert, mit den Fragen und Handlungen des Protagonisten als strukturgebendes Gerüst. Zurück in Berlin dann - Teil vier - löst sich das Rätsel von "Catfish" scheinbar von selber. (Siehe erneut Campbell: Mit den "von drüben" mitgebrachten Erfahrungen und Gaben löst der Heros die ursprünglichen, "diesseitigen" Aufgaben spielend und integriert dabei sein neues, "magisches" Wissen, um umso besser den Alltag zu bewältigen.)
Alles dieses ist ausgesprochen klug angelegt - zugleich Campbell'sche Heldenfahrt, aufschlussreiches Lesebuch mäandernder Dylan-Recherchen und Popbetriebskritik eines Musikredakteurs - und liest sich wie gesagt so widerstandslos wie angesichts des komplexen Gegenstands irgend möglich.
Das wiederum ärgert mich, denn ich möchte dieses Buch nicht mögen. Warum? Was spricht gegen "Catfish"? - Der beschriebene, kluge Aufbau des Textes aus Handlungen und Fragen des Protagonisten, an denen sich motivische und wörtliche Zitate in einer romanhaft-sinnstiftenden Weise gleichsam auffädeln lassen, entspricht, durchaus explizit, einer Vereinnahmung. In demselben Text, der von der Vielgestaltigkeit und Ungreifbarkeit Dylans handelt - als von einer Symbolfigur für die gegenkulturellen, gesetzlosen, mündlich tradierten, nicht unmittelbar verwertbaren Ursprünge der heutigen Popkultur - wird just seine Vielgestaltigkeit narrativ aufgefächert und verwendet, um ihn greifbar zu machen (seine "Weisheiten" in den Alltag des Musikredakteurs zu integrieren, der dadurch, aber das steht nirgends in "Catfish", umso besser in seinem Job ist). Das entspricht genau dem Umgang Odysseus' mit den Figuren der griechischen Mythologie, wie ihn Adorno in dem berühmten Exkurs in der "Dialektik der Aufklärung" beschreibt: Odysseus gehorcht den Buchstaben der jeweiligen mythologischen Satzung, gerade um sie zu brechen, zu bannen, von den Menschen die Angst zu nehmen - so, wie sich der Protagonist Brüggemeyer auf die wilde Fahrt ins Land der Toten (der toten Landstreicher, der toten Beatniks usw.) begibt und sich der "Prüfungen" Dylans stellt. Diese "Prüfungen" haben - als Erzählvehikel, mit denen der Autor seine Rechercheergebnisse über die Person Dylan ausstellen kann - notwendigerweise alle die Eigenschaft, mit (a) der richtigen Attitüde und (b) genug Eingeweihtenwissen bestanden werden zu können.
Mit anderen Worten: Es liegt der Wunschtraum des Musterschülers vor, dass gerade seine Fähigkeit, Einsen zu schreiben (hier: sorgfältig zu recherchieren), ihn "im Angesicht Gottes [Dylans] und der Umwelt angenehm", also cool, machen möge. Ein Wunschtraum mithin, der dem aktuellen, durchprofessionalisierten, arbeitsteiligen "Hipster"-(Pop-)Kulturbetrieb durchgängig innezuwohnen scheint. Ich gehe davon aus, dass Brüggemeyer, der Autor, auch diese Ebene der Geschichte von Brüggemeyer, dem Protagonisten, sorgfältig vorausberechnet und konstruiert hat - zitiert er Adorno doch mehrfach in "Catfish".
Es gibt dieses Lied von Franz Josef Degenhardt über den Chef einer grossen Firma, der unerkannt in allen Abteilungen vorbeischaut und dabei nach Maßgabe aller jeweils unterschiedlichen Spielregeln "der Gute" ist. Er darf sich selber für "klassenlos" halten, weil sich ihm (wenn ich das jetzt richtig erinnere) z.B. die Putzfrau im Waschraum hingibt, ohne, dass er sich als ihr Chef outen müsste. Degenhardts Lied denunziert die Hoffnung, dass es für Angehörige der herrschenden Klasse (oder für unseren Fall: Besitzer popkultureller Definitionsmacht) je wirklich so laufen könnte, als Seifenblase, als Ideologie. Die Stellen von "Catfish", da der Protagonist - zwar Ex-Dorfpunk, aber immerhin inzwischen ein halbwegs gut situierter Redakteur, der es sich leisten kann, mal eben um die halbe Welt zu fliegen - mit Obdachlosen und Kleinkriminellen "auf Augenhöhe" umgeht und dabei "wichtige Lektionen" lernt, bevor er am Ende wieder in seiner Redaktionsblase verschwindet, erinnerten mich beim Lesen an dieses Lied.
Diese Einwände tun dem Umstand - wie gesagt, leider! - keinen Abbruch, dass ich "Catfish" sicherlich wieder lesen werde. Es ist, was seine "ideologieführende Schicht" betrifft, ein Produkt seiner Zeit. Doch die Materialsammlung am Ende des Buchs ist vorzüglich, und was Brüggemeyer Dylan im Einzelnen sagen lässt - von den traumartig komponierten tableux vivantes vor allem der Zirkusszenen noch zu schweigen - hat dylanologische Substanz und poetische Qualität ...
... Und in dieser Gegenüberstellung (im disparaten Einzelnen geil, aber im sinnstiftenden Ganzen problematisch) wird erneut deutlich, dass "Catfish" seinem Gegenstand unbedingt angemessen ist.
PS: Für zumindest mich bleibt offen, ob die verschiedenen Schreibungen des Autorennamens - "Brüggemeyer" auf dem Umschlag, "Brüggemeier" auf den Titelseiten, wiederum "-meyer" im Klappentext - ein weiterer Hinweis auf den Unterschied von Autor und Protagonist sind - und mithin auf den fiktionalen Charakter des Textes - oder schlicht ein Versehen. Denkbar ist beides, aber dass sich die Frage überhaupt stellt, darf als ein Ausweis für die Sorgfalt der Inszenierung zwischen den Textsorten gelten, die Brüggemeyer/-meier in "Catfish" betreibt.
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