Satzmaschine/ Selbstportrait
Mit Zitat, Zikade. Zu den Sätzen legt Margret Kreidl einen neuen Band in der Edition Korrespondenzen vor. Es ist bereits ihr fünfter bei dem Wiener Verlag, und er ist sperrig. Er ist andererseits auch nicht so sperrig, oft beides im selben Satz. Das ist eine seiner Besonderheiten. Wer sich mit der Autorin beschäftigt, weiß, dass sie Prosa, Gedichte, Hörspiel- und Dramentexte verfasst. Dass sie mit Vorliebe Genregrenzen übertritt und entfernte Dinge zusammenbringt. Ihre Texte in Zitat, Zikade. Zu den Sätzen wandern nicht nur zwischen den Textsorten (es handelt sich um eine Sammlung von 35 Einzeltiteln), auch innerhalb der Texte wandert etwas hin und her. Oft bedient sich Kreidl Montage- und Collagetechniken, die zum Beispiel aus sebstreflektierendem Textbeginn plötzliche etymologische, spracherforschende Thesen ziehen, um dann in Bibliomanenmanier auf Streifzüge zwischen Bücher- und Küchentisch zu gehen. Das Element des über ein Selbst als Autorin reflektierenden Parlando, auch das des Selbstgesprächs, ist ein wesentliches Moment des Kreidlschen Schreibens in Zitat, Zikade. Man staunt über all die belesenen Verweise, die eigenwilligen Bücherstapel, auch die anekdotenhaften, persönlichen Skizzen aus dem Wiener Umfeld. Kreidl findet Platz für Vieles. Offensichtlich – dank des angehängten Verzeichnisses kann genau nachgelesen werden, zu welchem Anlass welcher Text verfasst und veröffentlicht wurde – sind mehrere der Texte tatsächlich Selbstgespräche, per tape aufgezeichnet und transkribiert. Andere Texte hingegen weisen durchaus geschlossenere Formen auf und wären als Gedichte oder auch als Listen zu lesen. In ihnen findet sich die Programmatik des Bandes, „Zu den Sätzen“, am deutlichsten ausgeprägt. Hier reihen sich Aussagen, Aussagesätze. Hier sperren sich Zwischentöne aus. Wird die Sprache geschlossenes Visier. Wo in den selbstreferenziellen Passagen des Buches bisweilen ein Anflug von Eigenempathie und weltausblendender Ich-Umkreisung durch Aussprechen überhand zu nehmen droht, gelingt Margret Kreidl in den stärker durchgestalteten, komponierten Passagen jener Listen ein bescheideneres, verblüffendes Satzgemenge, dessen hintersinniger, bisweilen offensiv-spielerischer Verdichtung eine Dramatik und ganz eigene Magie innewohnt. Ihr Sound ist interessant, ungewöhnlich. Die Satzmaschine ist mit wechselhaften Brocken/ Kartuschen bestückt. Als Beispiel mag hier der Text „Tut Lachen weh?“ dienen.
„TUT LACHEN WEH?
Tut Lachen weh?
Wer landet auf dem Kanapee?
Ein Wohnzimmer macht jeden bieder.
Ist die Geliebte ein Soufflee?
Ein ganzer Mann hat viele Glieder.
Wer lutscht den Zeh im Separee?
Die Frauen reiben sich ihre Schokolade selber.
Der Teig wird auch vom Rühren gelber.
Der Penis ist ein guter Besen.
Wer richtig schreibt, wird tüchtig gelesen.
Der Schreibtisch ist ein Steckbrett.
Die Hausfrau kriegt ihr Fett weg.
Hat Ihre Küche einen Namen?
Ein kleines Buch fällt aus dem Rahmen.
Wahre Kritiker lieben große Romane.
Goethe träumt von seiner polygamen Christiane.
Die Psychoanalyse ist eine Wissenschaft.
Schlafzimmer heißt auf Lateinisch terra incognita.
Bananen, Datteln und Paprika sind Aphrodisiaka.
Ein schöner Satz gibt Kraft.
Wie lange soll das Vorspiel dauern?
Wer wartet auf den kalten Bauern?
Darf man beim Orgasmus schmatzen?
Den Gatten muss man vorne lecken und hinten kratzen.
Der Buchrücken endet im Schwanz.
Die Bauchbinde reizt jeden Kunden.
Wie lange hält ein Lorbeerkranz?
Mit dem Schmutztitel beginnt die Kunst.
Den Waschzettel muss man lesen.
Was man nicht versteht, das soll man essen.
Der Germanist sitzt vor dem vollen Teller.
Die Fußnote führt in den Keller.
Es gibt Bücher ohne Kopf.
Schiller ist ein alter Zopf.
Alle Schriftsteller sind Brüder.
Die Feministin ist ein Zwitter.
Das Kind bringt die Frau zum Verschwinden.
Müssen sich Paare finden?
Der Christbaum ist ein phallisches Symbol.
Kleine Männer sagen gern jawohl.
Der Kanon ist natürlich voll.
Die Tochter sitzt auf dem Kopf der Mutter.
Alles ist in Butter.
Mit dem Happy End fängt das Drama an.
Genießen Sie Ihr Trauma?
Kann man die Angst austrinken?
Dicke Bücher nennt man Schinken.
Ernähren Sie sich richtig?
Leserinnen sind nicht auf Diät.
Zu viel Sinn macht süchtig.
Für die Nachwelt ist es nie zu spät.“
Viele Themen von Kreidls Band scheinen in diesem Text durch, ohne eben kommentiert oder im gefärbten Sprechfluss behandelt zu sein. In weiteren Texten dekliniert die Autorin alphabetische Satzlisten, Koch-/ Essgewohnheiten, Farben, Feministische Positionen, Ästhetik, Macht, Politik in jeweils eigenwilligen, wendungsreichen Gemengen. Interessant sind auch diejenigen Textformen, die als Collage, mit beigeordneten Kommentaren versehen, Zitate, Kunstdiskurse, Orte und Personen zu komplexen Wortlandschaften und Stimmungsbildern aus Begriffen verdichten. Das gilt auch für die jeweilige unterschiedliche grafische Textkomposition. Auffällig ist Margret Kreidls Wort und Namenobsession – immer wieder fallen, auch in Wiederholung zueinander, seltene oder ungewöhnliche Namen oder Bezeichnungen in den Texten, in Arten wie z.B. „Ribise“ oder „goyarot“ oder „Dukatenwuchtel“. Diese geistern nicht etwa als Croutinos, wie eine bloße Salatbeilage, umher, sondern scheinen so etwas wie Ausgangspunkte, Dreh- und Angelpunkte der Texte in Zitat, Zikade überhaupt zu sein. Eine genresprengende Konstruktion ist der Band, der von seiner Wandelbarkeit und seiner Unberechenbarkeit, sowie der Kraft der Autobiographie ihrer Autorin lebt. Margret Kreidls Satzbuch ist inspirierte Lektüre.
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