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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Eine Tänzerin, die ständig Angst vor dem nächsten Schritt hat.

Marie-Luise Scherer vertraut der Sprache mehr als sich selbst. Das lässt ihre Sätze leuchten.
Hamburg

Man müsste mit einer Kleinigkeit anfangen, mit den Tänzen, die außerhalb der Lampen stattfinden, um Marie-Luise Scherer gerecht zu werden; die abseitigen Details betrachten und so in Sprache fassen, dass sie keine Lampen mehr brauchen, weil sie selbst leuchten.

„Der Namensgeber eines Literaturpreises ist, bis auf wenige Ausnahmen, immer milchstraßenweit von seinem Empfänger entfernt“, schreibt Scherer. Es ist dieser Abstand, den sie anhand ihrer Dankesreden beleuchtet.

Als Marie-Luise Scherer sich beim Spiegel vorstellte, soll Rudolf Augstein gesagt haben: „Das Mädchen ist völlig ungebildet, aber gucken kann sie.“ So jedenfalls steht es in der Lobrede Martin Mosbachs. Das Vorstellungsgespräch ist positiv verlaufen, auch ohne Abitur durfte „das Mädchen, das gucken konnte“ 24 Jahre lang ihre Aufsehen erregenden Reportagen für den Spiegel schreiben und das, obwohl sie, wie Arno Widmann behauptet, „keine Reporterin ist. Sie ist eine Erzählerin. Seit weit mehr als zwanzig Jahren erzählt sie Geschichten.“

Eine Behauptung, die keine weiteren Belege außerhalb ihrer Reportagen braucht, und doch liefert der kleine Band, der die Dankesreden Scherers, für vier im Zeitraum von 1995 bis 2012 verliehene Preise enthält, einen weiteren Beweis für diese These.

In Scherers Dankesreden geht es immer um Kleinigkeiten, die jedoch niemals bedeutungslos sind. Ein Hund, eine Zigarette können Aufhänger und Bindungsglied zum Namensgeber des Preises sein. Scherer kommt in ihren Erzählungen von der ihre Schreibhemmung illustrierenden verhüllten Schreibmaschine zu einem Pferd mit einer Insektenallergie, und von dort zu der Einsicht, dass es außerhalb der Feder kein Heil gibt. Eine Überzeugung, die sie mit Italo Svevo teilt. Auf ihr erwachsenden Leben zurückblickend, schreibt Scherer, es sei geprägt gewesen „durch die Furcht vor dem Schreiben, durch sein Hinauszögern und das daraus erwachsende Unglück der Arbeitsschulden.“

So direkt erzählt sie jedoch sehr selten von sich. Zumeist geschieht das vermittelt über andere, indem sie vom Verhältnis zu ihrer Großmutter erzählt, oder zum Vater, von dem sie schreibt: „Die Natur hatte ihn mit Güte und Unbescheidenheit, auch einer Spur Größenwahn ausgestattet.“ Das Scheitern dieses Vaters, der aufgrund des Preises, der seiner Tochter nun verliehen wurde, wieder Straßenbahn fahren würde, macht Scherer zum Inhalt ihrer Dankesrede für den Heinrich Mann Preis.

„Was man verstehen kann, lohnt die Beschreibung nicht“, charakterisiert Martin Mosbach in seiner Laudatio Scherers Haltung beim Schreiben.

Und so hält sie sich beim Danksagen an Bilder, die ihre Erinnerung an die entstehen lässt, die sie begleitet und geformt haben. Ihre Art Dank entgegen zu nehmen ist, ihn weiterzugeben.

Marie-Luise Scherer
Unter jeder Lampe gab es Tanz
Wallstein
2014 · 80 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-8353-1420-7

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