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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Mögen, wie der andere geschieht

Es geht um Räume, sehr eigene und spezielle Räume, es geht um Bewegungen darin, wie sie immer nur der sich Bewegende tun kann, wenn er etwas wie sich selbst parat hat und dieses Selbst nutzt als ein Instrument. Deswegen besitzt er sich nicht. Dafür ist das Wort da. Man kann sich viele kluge Untersuchungen sparen, wenn man bereit ist, die Lyrik als authentische Geste zu sehen, die ein Ich kunstvoll aus den in ihm wirksamen Konflikten des Lebenskontextes heraus entwickelt. Natürlich basiert das auf durch Lesen angeschwemmten Fundamenten, aber dieses Spiel ist Ausdruck von völlig individuellen Zusammenhängen und gleichzeitig Antwort an sich selbst und mehr will es nicht sein – nicht gültig für alles und jeden, nicht der große neue Entwurf, der alte Muster entwertet und künftige Muster vorgibt, sondern eine Privataufnahme. Ein Raum, der da ist und nach etwas aussieht, weil er das jeweils Private deutlich aufnimmt.

Marius Hulpe hat junge deutschsprachige Lyriker/innen eingeladen ihre persönlichsten Gedichte zu schicken, um sie zu einer besonderen Anthologie zusammenzufügen. ... „uns leuchtet kein Stern / und kein Lied kann uns locken heraus / aus den Sümpfen in denen wir still und einsam sein“... wollen, schreibt Anke Bastrup. Eher sollen. Es hat sich ja nichts bewährt, so vieles liegt demaskiert vor den eignen Füßen als Lüge und verkehrte Antwort und nun soll man sehen wohin. So viel Aufsehens hat man um den Menschen gemacht und zu was ist die Erde unter diesem Regiment verkommen, hat verkommen müssen, liegt getreten da. Jetzt ist die Zeit es sich genau anzuschauen, den Narziß aus dem Spiegel und aus dem Gedicht herauszufiltern. Man will ihn nicht mehr, den glanzvollen Sänger vom Ich, den Stern, den Star, den Blender. „Zurückgeworfen auf ein kollektivloses Subjektsein besah sich das lyrische Ich vor dem Spiegel und entdeckte seine Fehler“, schreibt Marius Hulpe in seinem Vorwort. Man muß das im richtigen Zusammenhang sehen und das wirkliche Ausmaß begreifen und schon sieht man auch den Unterschied der jungen zur alten Lyrik, begreift, warum es Sinn macht in einer Privataufnahme junge Stimmen zusammenzuführen und gemeinsam hinzustellen. Das hat mit Sicherheit nichts zu tun mit einem Buhlen um „ein Quäntchen Aufmerksamkeit im Medienbetrieb“ (Andreas Heidtmann) oder „übersteigertem Geltungs- und Publikationsbedürfnis“ (Matthias Kehle), sondern mit der eigenen Aufmerksamkeit für das wirkliche Quantum, mit dem Bedarf an vielleicht doch noch Geltendem („man fragt sich was war / was das letzte wort war“ Nathalie Schmid), es hat zu tun „mit den Formen des Jetzt“, wie das Ron Winkler so gut ausgedrückt hat. Was bestimmt auch als Verb gilt: dem Formen des Jetzt, das über bislang Geltendes hinaus muß. Und das betrifft nicht nur die Lyrik, die nur ein Transporter dafür ist. Es geht hier wirklich um das ganz Einfache, nicht um eine Idee und nicht um eine Religion, sondern um die unzähligen und essentiellen Fehlknoten und Irritationen, die auf das aktuelle Dasein draufgepackt sind, es geht um deren Korrektur. Wegstreichen, Bloßstellen, Nacktsein. Es geht um Daheimsein und Ankommen. Ein Ankommen, das die Welt, wie sie sich heute gebärdet, hartnäckig verweigert, weil sie überdeutlich Menschenquatsch ist, aus Fehlern geflickschusterter aufgeplusterter Fußabstreifer einer respektlosen Tierart, die sich viel zu viel raus und viel zu wichtig nimmt. Stadtaffen, singt Peter Fox. Es geht darum zu zeigen, daß die junge Poesie den Raum Welt auf eine andere, sehr subtile Weise betritt, sich ihre Subjekte anders darin bewegen (und sei es zur gleichen Musik), eine andere Bewußtheit zum Ausdruck bringt.

Folgende Autoren sind in der Anthologie mit jeweils mehreren Gedichten vertreten: Anke Bastrop, Crauss, Daniela Danz, Carl-Christian Elze, Roman Graf, Alexander Gumz, René Hamann, Marius Hulpe, Anja Kampmann, Adrian Kasnitz, Daniel Ketteler, Björn Kuhligk, Norbert Lange, Kerstin Preiwuss, Ulrike A. Sandig, Nathalie Schmid, Katharina Schultens, Florian Voß, Jan Wagner, Christoph Wenzel und Ron Winkler.

Ich vermisse niemanden. Wenn mir jemand einen Mix schenkt, mit seinen aktuellen privaten favourites drauf, dann vermisse ich nicht, sondern versuche aus der Mixtur herauszulesen, was los ist mit dem Mixer und was er mir sagen will mit seiner Auswahl. „Entstanden ist ein Kompositum aus blitzenden Erinnerungsfetzen, sinnstiftenden Hoffnungsliedchen, schroffen Verweigerungen und sinnlichen Privataufnahmen“, schreibt Marius Hulpe. Bei mir ist angekommen, daß alle Poetiken, so unterschiedlich sie sich äußern, auf eine ganz banale Weise immer in Korrespondenz zu einander stehen. Es ist immer die selbe Sprachlosigkeit, die überwunden werden muß. Und beim Lesen eines Gedichtes entwickle ich Respekt und Freude über die Eigenart der Bewegung des Anderen, die nicht zwangsläufig so auf uns selbst hinführen muß, daß sie uns erkennbar bleibt und uns gefällt. Schließlich ist es des Anderen Bewegung. Sie erst schafft den Raum. Das Gedicht ist der Raum und geschieht. Das Gedicht eines anderen lesen und mögen heißt, mögen, wie der andere geschieht.

Ich mag diese Privataufnahmen.

ULRIKE A. SANDIG

und nur unter fichten vergisst sich, was abfällt
von dir und vor allem, was bleibt. ein stapel
papier und die falsche vertraute adresse,
in der nähe spricht jemand von kunst,
ein zweiter vertritt sich die füße
woanders, es bleibt etwas über für erde + erde + zucker am tag.
wir haben uns dinge im herbst anvertraut, wir haben
einander im wechsel vertan.

Marius Hulpe (Hg.)
Privataufnahme
Dahlheimer
2009
ISBN:
978-3-928832335

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