Das Leben ist schön
Warum schreibt eine junge Frau über einen kranken alten Mann. Das dürfte die Frage sein, die Frau Gaponenko im Zusammenhang mit ihrem neuen Roman „Wer ist Martha?“ am häufigsten zu hören bekommt. Dabei ist die Antwort ganz einfach: Marjana Gaponenko schreibt über alte, sterbende Männer, oder über eine Dorfschullehrerin, die einen Briefwechsel mit einem sonderbaren Journalisten und Weltenbummler führt, weil sie es kann. Egal über wen sie schreibt, sie tut es mit unvergleichlicher Phantasie und auf eine Art, dass es schließlich keinen Unterschied mehr gibt zwischen traurig und glücklich, jung und alt. Diese Frau versteht es, Grenzen aufzuheben, und aus dieser Grenzenlosigkeit, etwas Neues entstehen zu lassen. In einem Interview anlässlich ihres neuen Romans, sagt Frau Gaponenko: „Ich will keine Handlung... ich will nicht unterhalten. Ich möchte eine Klarheit, die nicht benannt werden muss, um zu sein.“
Der Vogelkundler Luka Lewadski ist 96 Jahre alt, als bei ihm ein Lungenkarzinom diagnostiziert wird. Statt sich jedoch lebensverlängernden Maßnahmen zu unterziehen, oder sich still zum Sterben bereit zu machen, fordert Lewadski das Leben noch einmal heraus. Er nimmt sein Erspartes, rüstet sich mit exklusivem Gehstock und teurem Zwirn aus und reist nach Wien ins Hotel Imperial, um dort im Luxus zu sterben.
Ich erinnere mich, dass mein Großvater, er muss zu dem Zeitpunkt ungefähr 84 Jahre alt gewesen sein, den Vorschlag sich neue Schuhe anzuschaffen, empört ablehnte mit dem Hinweis, dass diese Investition sich in Betracht seines hohen Alters und des bald zu erwartenden Ablebens nie und nimmer auszahlen würde. So argumentiert jemand, der den Tod sehr ernst nimmt, so ernst, dass sich diese Ernsthaftigkeit auf das Leben davor ausdehnt. Lewadski hingegen setzt der Prophezeiung seines baldigen Lebensendes eine geballte Lebenslust entgegen. „Einen neuen Anzug zu kaufen war, zusammen mit dem Vorsatz, den Tod genüsslich in einem Grandhotel zu erwarten, eine der besten Ideen seines zu lang gewordenen Lebens gewesen.“ Die Entscheidung für einen alten, sonderlichen Helden, der sein Sterben selbst in die Hand nimmt, erlaubt Marjana Gaponenko, das Repertoire ihrer schönen, fantasievollen und lyrischen Sprache auszuschöpfen. Dass das nie pathetisch klingt, oder gar schwülstig, ist der Tatsache zu verdanken, dass sie ihren Helden mit einem gerüttelt Maß an Selbstironie ausgestattet hat.
Paul Auster schreibt in seinem Buch „Die Erfindung der Einsamkeit“ über einen Freund: „In dieser Welt war kein Platz für einen Mann, der keinen Sinn für seine Lächerlichkeit hatte.“ Marjana Gaponenko, bei all ihrer Vorliebe für Glanz und Pathetik, scheint diesen Grundsatz für ihre Figuren verinnerlicht zu haben.
Während sie diesen Grundsatz (und zwar durchaus unterhaltsam!) in ihrem ersten Roman „Annuschka Blume“ als Feuerwerk an Ideen und poetischen Sätzen umsetzte, ist „Wer ist Martha? ein ruhiger Fluss, nur manchmal unterbrochen von einer sprudelnden Quelle, aber das liegt wohl in der Natur der Geschichte, die nicht darauf aus ist abzuheben, sondern darauf, dass sich ein Kreis schließt.
Im letzten Drittel des Buches tritt die Autorin selbst in Erscheinung, als junge Dame, die sich in der Hotelbar neben ihren Helden setzt, auf den Platz von Herrn Witzturn, Lewadskis Altersgenossen, den er im Fahrstuhl kennen gelernt hat. „Ich schreibe an einem Buch über einen alten Mann, erzählt die junge Dame mit dem Kosmonautencocktail dem Barmann. Ein einsamer alter Mann kehrt zurück in die Stadt seiner Kindheit, um dort zu sterben, so dass sich der Kreis schließt.“
Mein Großvater bereitete sich darauf vor, zu verschwinden, während Lewadski die ihm verbleibende Zeit nutzt, sich in die Erinnerung seiner Leser zu graben und so zwar nicht dem Tod, aber der Vernunft zu entgehen. „Oft denke ich mir, wenn es wahren Terror gibt, dann ist es der Terror der Vernunft. Die schönsten Früchte der Phantasie lässt die verfluchte Vernunft nicht reifen...“
Am Ende des Romans (so ist es mir bereits bei ihrem ersten Buch gegangen), denkt man nur, wie schön das Leben doch ist und fragt sich, wie man das nur immer wieder vergessen kann. Der Glanz, den Marjana Gaponenko im Schreiben gesucht und gefunden hat, lässt auch das Leben ihrer Leser glänzen. Man weiß am Ende dieses Buches vielleicht immer noch nicht, wer Martha ist, aber wie schön und glanzvoll das Leben sein kann, weiß man wieder sehr genau.
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