Russlandkrimi
Das Russland-Bild im deutschen Krimi ist nicht eben freundlich: Ein Land unter autokratischer Herrschaft mit korrupten Behörden und manipulierten Medien. Ein Land, in dem Gewalt und Selbstsucht die Hauptelemente eines desaströsen gesellschaftlichen Lebens sind, gegen das eigentlich nur Wodka und der radikale Verzicht auf jedes Engagement helfen. Insbesondere russische Männer trifft das Verdikt völliger Hoffnungslosigkeit. Dennoch hat jüngst noch eine lange in Russland lebende Journalistin – Kerstin Holm – in der FAZ bekannt, dass sie bei aller Problematik jenes Russlands vermissen gelernt habe. Im Vergleich dazu schienen ihr die Deutschen (vor allem Männer) mit ihren markanteren, gesünderen Gesichtern oberflächlich und unehrlich – Parasiten des Elends, das an der Peripherie der westlichen Welt gerade in jenem Land anzutreffen sei, das für Krimis eine dankbare Kulisse abgibt.
Und es gibt noch mehr Kritik an dem bequemen Russland-Bild, das in dem Riesen am Ostrand der Europäischen Union immer nur die alte Sowjetunion oder gar den asiatischen Despotismus und seinen Nachhall zu sehen meint. Selbst ein aufgesetzter Skandal wie der um den Auftritt von Pussy Riot lässt sich zur Not so oder auch ganz anders wenden. Vertraut man aber etwa dem Merian-Heft zu Moskau, so ist diese große russische Stadt zwar geschichtsgeprägt – den Leitartikel schrieb eine in der DDR sozialisierte Journalistin -, aber das Moskau von heute ist in diesem Bild eine junge und eine europäische Stadt, in der es vor allem darum geht, das Leben, wie es sich einem bietet, zu genießen. Und es sind damit die einfachen Genüsse einer Promenade und Kaffeehausbesuchs gemeint, nicht die Exzesse der Club-Kultur im semi-kriminellen Milieu (Klischee Nr. wieviel?).
Nun ist es kaum anzunehmen, dass Krimis ein freundliches Bild eines Landes skizzieren, dennoch sind die Unterschiede etwa zwischen dem Krimiland Deutschland und dem Krimiland Russland kaum größer. Russland rangiert hier in einer anderen Preisklasse, etwa in derselben, in der die USA, Mexiko oder Südafrika rangieren.
Deutschland dagegen? Kein friedlicheres Land als die ehemalige Heimat von Säbelrasslern und Hakenkreuzlern – obs an den Schreibern liegt oder am Land selbst, das bleibt jedem selbst überlassen. Aber wenn selbst Holland und England mehr Kaliber haben als Deutschland, sollte einem das zu denken geben. Zumal wenn man bedenkt, dass Deutschland wohl einer der größten Krimimärkte weltweit ist.
Lassen wir also die Kritik am negativen Russland-Bild des Krimis (das auch nicht negativer ist als dass der Politikseiten der Tageszeitungen) – man muss nur nicht gleich die russische Seele bemühen, um die Spezifika von Krimis mit russischem Sujet zu beschreiben.
Diese nutzt eben auch Martin Cruz Smith, der in „Tatjana“ das korrupte und gewalttätige Russland kräftig in Dienst nimmt. Eine unliebsame Journalistin wird von ihrem Balkon gestoßen – offensichtlich Selbstmord, eine Leiche wird in Kaliningrad aufgefunden, wie sich herausstellt ein fanatisch radelnder Übersetzer, der von einem Metzger erschossen wird, ein Unterwelt-Chef, der ein gewaltsames Ende findet, und sein Sohn, dem niemand zutraut, die nächsten beiden Wochen zu überleben. In diese Szenerie gerät Arkadi Renko in der achten Geschichte, die Cruz Smith um ihn herum baut,, der kaum selbst mit sich etwas anzufangen weiß, nicht zuletzt weil eine Kugel in seinem Kopf ihr Unwesen treibt und ihn jederzeit umzubringen droht.
Der Schlüssel zum ganzen Treiben ist das Notizbuch des Übersetzers, mit dem nur niemand etwas anzufangen weiß, weil es – aus diversen Gründen (Praktikabilität, Schnelligkeit und Bequemlichkeit) unlesbar ist – kryptische Zeichen, die in keinem erkennbaren Zusammenhang zu stehen scheinen.
Dennoch ist eine Reihe von Leuten hinter dem Notizbuch her, das wohl auch der Grund für den Tod jener titelgebenden Journalistin Tatjana ist. Tatjana nun gibt nach und nach ein paar weitere Geheimnisse preis – und das, obwohl ihre Leiche verschwunden ist und erst sehr spät, eingeäschert, wieder auftaucht. So nutzt sie nichts mehr.
Das hindert aber Arkadi Renko nicht daran, sich mit diesem Fall zu beschäftigen, was von Beginn an so hoffnungslos wie nur möglich erscheint.
Aber selbstverständlich löst er schließlich den Fall – der sich insbesondere um den Tod des Unterweltbosses dreht. Wers war ist dabei kaum eine rechte Überraschung. Der Skandal, der dabei aufgedeckt wird, ist ein zwar sehr gutes, aber nicht ungewöhnliches Geschäft - unter Freunden, muss man sagen. Das hilft so gut wie niemanden und geht auch unter, obwohl das Skandalon für sich genommen groß genug wäre. Interessiert nur irgendwie keinen.
Und so ist es vor allem der Gang Renkos durch diesen Fall, der im Mittelpunkt des Romans steht. Dass er zwischenzeitlich zwei Zentren hat, ist seinem Ziehsohn Schenja zu verdanken, dem unentdeckten Schachgenie, das sich, gerade siebzehnjährig, zur Armee melden will. Das will man niemandem zumuten, nicht einmal einem solch rauen Jüngling, der nichts Besseres zu tun zu haben scheint. Wenn das die russische Art ist, zum Mann zu werden, wundert einen nichts. Von der Frage, was das denn sein soll, einmal abgesehen.
Selbstverständlich ist das alles in ein melancholisches Licht getaucht, Sepia im Krimiformat, aber das muss wohl so sein, wenn ein Krimi im heutigen Russland spielt.
Und dennoch blitzen bei Cruz Smith immer wieder auch Facetten auf, die man bei einem Mainstreamautor wie ihm nicht erwartet. Keine Frage, er ist ein Autor, der auf den Erfolg aus ist – und das diszipliniert. Diese stilistische Disziplin wirkt aber gelegentlich erzwungen und zugleich brüchig. Immer wieder blitzt eine anarchische Schreibweise auf, die nicht zuletzt an Jerome Charyn erinnert und die Cruz Smiths Thriller über das gewöhnliche Standardformat hinaushebt. Naheliegend ist er weit entfernt von der Zügellosigkeit eines Charyn entfernt. Aber in seinen besten Moment kommt er ihm sehr sehr nah. Und etwas Besseres könnte ihm nicht geschehen.
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